Auszug
Die in Art. 4 I GG ohne Definition garantierte Gewissensfreiheit ist in ihrem heutigen Verständnis vor allem das Ergebnis von Untersuchungen neueren Datums. Historisch waren Religions- und Gewissensfreiheit kaum zu trennen. Erst mit Anerkennung der „Religionsfreiheit“ als Grundrecht erhielt die Gewissensfreiheit allmählich eigenständige Bedeutung.1 Allerdings nahm die Verwendung des Wortes Gewissensfreiheit an der verbreiteten (und noch heute nur reduzierten) Begriffsverwirrung im Bereich des Art. 4 I, II GG teil. Das änderte sich für die Gewissensfreiheit spätestens mit der Staatsrechtslehrertagung von 1969.2 Seitdem ist „Gewissensfreiheit“ allgemein als vollständig eigenes Grundrecht anerkannt.3 Dieses unterscheidet sich als allgemeines säkulares Grundrecht strukturell deutlich von den übrigen Gewährleistungen des Art. 4 I, II GG, die ausschließlich den religiös-weltanschaulichen Bereich betreffen. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung (Art. 4 III GG) ist ein eigens geregelter Sonderfall, der nicht so häufig wie die normale Gewissensfreiheit mit religiös-weltanschaulichen Motiven verbunden ist und in einer religionsrechtlichen Einführung daher entbehrlich erscheint, zumal bei der heutigen großzügigen Praxis des Anerkennungsverfahrens. Die justizielle Verfolgung der Zeugen Jehovas4 im Zusammenhang mit der Kriegsdienstver-weigerung kann wohl als wenig rühmliches Kapitel angesehen werden, ist aber Rechtsgeschichte und sei hier nicht vertieft.
E.-W. Böckenförde, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit, VVDStRL 28 (1970), 33 (40 ff.)
Referate von E.-W. Böckenförde, a. a. O. und R. Bäumlin, VVDStRL 28 (1970), 3.
Unkorrekt ist es, wenn sogar noch in BVerwGE 94, 82 (87) von „Glaubens- und Gewissensfreiheit“ die Rede ist.
Die Zeugen Jehovas haben schon zur NS-Zeit einen viel größeren Blutzoll entrichtet als die meisten verfolgten gesellschaftlichen Gruppen. — Jedoch Berücksichtigung der besonderen Zwangslage der Zeugen Jehovas in BVerfGE 23, 127 (134); 78, 391 (395): Der Ersatzdienst sei zwar durch Art. 12a GG garantiert, seine Verweigerung verdiene aber im Fall der Zeugen Jehovas Berücksichtigung bei der Strafzumessung. Die Gewissensfreiheit führte zur Schaffung des § 15a ZDG.
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Literatur
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H. H. Rupp, NVwZ 1991, 1033.
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(2008). Gewissensfreiheit. In: Religions- und Weltanschauungsrecht. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-540-72049-2_8
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