Auszug
In der Frühzeit der Bundesrepublik war das Verhältnis des Staats zu den Religionsgemeinschaften fast gleichbedeutend mit dem zwischen dem Staat und den großen Kirchen. Die Zahl der kleinen, fast ausschließlich christlichen, Religionsgemeinschaften war erheblich kleiner als heute. Nur wenige Menschen gehörten formal keinem religiösen Bekenntnis an, was die politische und rechtliche Praxis erheblich prägte. Im Gegensatz zu heute konnte man damals das Rechtsgebiet, das sich mit Religion und vor allem mit dem Verhältnis des Staats zu den großen Kirchen befasste, ganz unbefangen als „Staatskirchenrecht“ bezeichnen. Dieses entwickelte sich in Phasen, die man grob einteilen kann in die Phase der kirchenzentrierten Euphorie (1949 bis ca. 1965), in eine folgende Phase der Versachlichung und, im Zusammenhang mit dem Aufkommen neuerer Religionsgemeinschaften, des Islam, der Wiedervereinigung, der eingetretenen starken Säkularisierung der Gesellschaft und vor allem der Europäisierung ab etwa 1990 eine Phase der Hereinnahme des Rechtsgebiets in den allgemeinen verfassungsrechtlichen Diskurs. Das kommt in den jetzt hauptsächlich gebrauchten und von Anfang an keineswegs polemisch verwendeten Begriffen Religionsrecht bzw. Religionsverfassungsrecht gut zum Ausdruck. Der Wandel war seit 1949 jedenfalls ein besonderes Merkmal des Religionsrechts der Bundesrepublik.1
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Literatur
G. Czermak, NVwZ 2000, 896.
S. aus der nahezu unüberschaubaren Literaturfülle etwa die Arbeiten von G. Besier, E.-W. Böckenförde, G. Brakelmann, G. Denzler, G. Denzler/F. Fabricius, K. Deschner, W. Gerlach, D. J. Goldhagen, M. Greschat, F. Heer, W. Huber/J. Schwerdtfeger, W. Jochmann, E. Klee, G. Lewy, H. Prolingheuer, K. Scholder, G. Zahn und v. a. Zusammenfassend etwa G. Czermak, Christen gegen Juden, Reinbek 1997, insb. 167–236.
P. Mikat, in: Morsey/Repgen (Hrsg.), Christen und Grundgesetz, 1989, 33–69 (34).
Vgl. B. Beutler, in: A. Rauscher (Hrsg.), Kirche und Katholizismus 1945–1949, 1977, 26; Hollerbach, HdbStKirchR I (1974), 215 (230 ff.).
Zu Bayern G. Lauer, BayVBl 1990, 737 (742) m. N.
Mikat, a. a. O. (1989), 33 (35), Fn. 10.
Vgl. R. Salzmann, in: L. Koch/J. G. Stanzel (Hrsg.), Christliches Engagement in Gesellschaft und Politik, 1979, 237–258 (237).
So K. Kröger, NJW 1989, 1318 (1323).
Zur diesbezüglichen Entstehungsgeschichte eindringlich R. Herzog, JR 1969, 442.
Vgl. allgemein v. Doemming/Füsslein/Matz, JöR n. F. 1, Tübingen 1951; zu Art. 140 GG etwa auch A. Hollerbach in: Blumenwitz u. a. (Hrsg.), Konrad Adenauer und seine Zeit, Bd. 2, 1976, 367 ff.; K.-E. Schlief, Die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche (1961), 65 ff.
R. Smend, ZevKR 1 (1951), 4, auch in: H. Quaritsch/H. Weber (Hrsg.), Staat und Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland, 1967.
Zahlreiche Beispiele bei Obermayer, DÖV 1967, 9 (10), Fn. 12.
So z. B. P. Mikat in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte IV/1 (1960), 146 f.; das ist die Staatslehre von Leo XIII. bis Pius XII.
BGHZ 34, 372 (373 f.).
BGHZ 22, 387 f.
G. J. Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, 1930, 294.
J. Heckel, VerwArch 37 (1932), 282 (284); er begründete die Formel u. a. mit der „verfassungspolitischen Situation“ und mit den Erfahrungen des Kulturkampfes.
Vgl. eindrucksvoll statt aller H. Simon, Katholisierung des Rechtes? 1962 (Bensheimer Hefte 16); Langner, Der Gedanke des Naturrechts seit Weimar und in der Rechtsprechung der Bundesrepublik, Bonn 1959 (umfangreich); Weinkauff, NJW 1960, 1689; Evers, JZ 1961, 241; Wieacker, JZ 1961, 337.
Zit. nach E.-W. Böckenförde, StdZ 90 (1964/65), 199 (205).
Böckenförde, a. a. O., 206.
Zitate W. Hamel, ARSP 40 (1952/53), 475 und ARSP 42 (1956), 483.
W. Hamel, ZStW 109 (1953), 75.
Eingehend zu Hamel und Witte A. Podlech, AöR 1963, 185.
H. Scholler, Die Freiheit des Gewissens, Berlin 1958, 196.
W. Wertenbruch, Grundgesetz und Menschenwürde, Köln/Berlin 1958, 156.
E. v. Hippel, Allgemeine Staatslehre, 2. A. Berlin/Frankfurt 1967, 262.
Th. Ellwein, Klerikalismus in der deutschen Politik, 1. und 2. A. München 1955; eingehend zu diesem Aspekt der gesamten Adenauer-Ära Th. M. Gauly, Katholiken, Machtanspruch und Machtverlust, 1991, insb. 127–178.
A. a. O., S. 24 der 2. A.
BayVerfGH 20, 125 (133 f.) und 20, 159 (165).
H. Quaritsch, Der Staat 1 (1962), 175–197 und 289–320; auch in: H. Quaritsch/H. Weber (Hrsg.), Staat und Kirchen... 1967, 265–310. Später folgte H. Quaritsch, Der Staat 5 (1966), 451, u. a. mit Rezension einer Monographie von A. Albrecht (1965), dem „beste(n) Buch, das je für die Koordination geschrieben wurde“, aber den Kreis auch nicht quadrieren könne.
A. a. O., 195.
G. Scheffler, Die Stellung der Kirche im Staat nach Art. 140 GG..., Hamburg 1964, 2. A. (Neubearb.) 1973.
K. Hesse, ZevKR 11 (1964/65), 337 (347, 346).
H. Weber, Die Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts im System des Grundgesetzes, 1966; im selben Geist K. Obermayer, DÖV 1967, 9.
BVerfGE 19, 206 (216).
Feuchte/ Dallinger, DÖV 1967, 361.
So etwa H. Weber, NJW 1983, 2541 (2542).
A. Hollerbach, Internat. Katholisch Zeitschrift Communio 4 (1975), 160; zur Kritik auch H. Engelhardt, JZ 1975, 689; Verteidigung der Thesen bei E. Fischer, Vorgänge H. 12 (1974), 4 mit Thesenabdruck S. 93 f.
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(2008). Zur Entwicklung des Staat-Kirche-Verhältnisses in der Bundesrepublik. In: Religions- und Weltanschauungsrecht. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-540-72049-2_6
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