Zusammenfassung
Die Postmoderne werde „auf lange Zeit wahrscheinlich schnell vergessen“ sein — so äußerte sich kürzlich ein bekannter Architekt1 und verwies auf neueste Bauprojekte, die man statt „postmodern“ „neo-monumentalistisch“ nennen könne. Im Feuilleton mehren sich Rückblicke auf die Postmoderne. Allein schon die Semantik der Wortbestandteile von „Post-Moderne“ provoziert dazu, einen Architekturstil, in dessen Selbstkennzeichnung ein anderer Architekturstil für vergangen erklärt ist, seinerseits für vergangen zu erklären. Die Medien in ihren einschlägigen Programmen und analoge Einrichtungen der Dauerreflexion haben sich diese Chance nicht entgehen lassen. Wer architektonisch, literarisch oder philosophisch die Postmoderne nicht mitgemacht, ja vielleicht auch nur verschlafen hat, gewinnt Aussichten, sich seinerseits plötzlich ganz vorn zu befinden. Andererseits verliert allmählich in diesem Prozeß fortgesetzter Überholungen der Platz auf der Spitze des Zeitpfeils an Interesse und Aufmerksamkeitswert. Das ergäbe dann eine Kultur fortschreitender Unverbindlichkeit des Fortschritts. Eben diese Unverbindlichkeit auszurufen, die Ankündigung also, „das Ende der linearen Zeit“2 sei erreicht, war der Hauptimpuls postmoderner Philosophie. Das bedeutet: Die Postmoderne versteht sich nicht mehr als Avantgarde. Gleichwohl ist sie in den Einrichtungen des Kulturbetriebs als solche behandelt worden. Worin hätte entsprechend der Avantgardismus der Postmoderne bestanden? Er bestand im Nachweis, daß die Paradoxien des Versuchs, Avantgardismus zum Prinzip zu erheben, die Avantgarde ad absurdum geführt haben.
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Literatur
Helmut JAHN in „Welt am Sonntag“ vom 16. April 1989.
Jean BAUDRILLARD: Die fatalen Strategien. Mit einem Anhang von Oswald Wiener. München 1985, S. 17.
Hans Robert JAUSS: Kalendarium zur Verkürzung der Epochenbegriffe. Kunst. Typoskript. Konstanz 1983.
Cf. dazu meine Abhandlung „Historisierung und Ästhetisierung. Über Unverbindlichkeiten im Fortschritt“, in: Hermann LUBBE: Die Aufdringlichkeit der Geschichte. Herausforderungen der Moderne vom Historismus bis zum Nationalsozialismus. Graz, Wien, Köln 1989, S. 46–63.
Das immer wieder nachgedruckte Dokument ist hier zitiert nach Walter HESS: Dokumente zum Verständnis der modernen Malerei. Reinbek b. Hamburg 1986, S. 71–72.
ibid.
Cf. unten S.212ff.
Hans TIETZE: Lebendige Kunstwissenschaft. Zur Krise der Kunst und der Kunstgeschichte. Wien 1925, S. 39.
a.a.O., S. 60
Cf. dazu Walter GRASKAMP: Museumsgründer und Museumsstürmer. Zur Sozialgeschichte des Kunstmuseums. München 1981, S. 47f.
Ganz unbefangen gebraucht diesen Ausdruck Laszlo GLOZER: Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939. Köln 1981, S. 127.
Hans TIETZE, a.a.O. (cf. Anm. 8), S. 60.
Zu Christo cf. Lawrence ALLOWAY: Christo. Stuttgart 1969. — Ferner: Michael S. CULLEN und Wolfgang VoLZ (Hrsg.): Christo. Der Reichstag. 1984.
Der zitierte Satz findet sich als Kapitelüberschrift bei Werner HOFMANN: Kunst und Politik. Über die gesellschaftlichen Konsequenzen des schöpferischen Handelns. Köln 1969, S. 25.
Zu Humboldts Tätigkeit als Museumseinrichter cf. meine Abhandlung „Wilhelm von Humboldt und die Berliner Museumsgründung 1830“, in: Hermann LOBBE: Die Aufdringlichkeit der Geschichte. Herausforderungen der Moderne vom Historismus bis zum Nationalsozialismus. Graz, Wien, Köln 1989, S. 187–206.
Zu Schinkels Museumsbau cf. Hans KAUFFMANN: Zweckbau und Monument: Zu Friedrich Schinkels Museum am Berliner Lustgarten. In: Eine Freundesgabe der Wissenschaft für Ernst-Hellmut Vits zur Vollendung seines 60. Lebensjahres am 19. September 1963. Herausgegeben von Gerhard HESS. Frankfurt a. M. 1965, S. 135–166.
So der Vorsitzende des Verbandes der Deutschen Kunst-Kritiker, Dr. RICHTER, in seinem Referat vor der Konferenz der Deutsch-Österreichisch-Schweizerischen ICOM-Sektionen am 15. Mai 1982 in Lindau.
Zum Beispiel in der Klage über die „Folgenlosigkeit der Kunst in der bürgerlichen Gesellschaft“ - so Peter BURGER: Theorie der Avantgarde. Frankfurt a. M. 1974, S. 78. 100 2. Avantgarde
Das ist, banalerweise, eine auch bei professionellen Kunsthistorikern anerkannte hermeneutische Selbstverständlichkeit. Cf. dazu exemplarisch Leopold D. ETTLINGER: Kunstgeschichte als Geschichte. In: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen. Band 16 (1971), S. 7–19.
Georg Wilhelm Friedrich HEGEL: Vorlesungen über die Ästhetik. Drei Bände. Erster Band. Ed. Glockner Band 12, S. 151.
Cf. unten S. 119ff.
Herbert MARCUSE: Die Permanenz der Kunst. Wider eine bestimmte marxistische Ästhetik. München, Wien 1977, S. 57.
Cf. hierzu die Verhandlungen des Gießener Kolloquiums „Nachahmung und Illusion“ der Forschungsgruppe „Poetik und Hermeneutik”. Band I. München 1969.102 2. Avantgarde
Cf. hierzu Odo MARQUARD: Kunst als Kompensation ihres Endes. In: Kolloquium Kunst und Philosophie. Herausgegeben von Willi OELMÜLLER. Band 1: Ästhetische Erfahrung. Paderborn, München, Wien, Zürich 1981, S. 159–168.
Harald WEINRICH: Drei Thesen von der Heiterkeit der Kunst. In: Harald WEINRICH: Literatur für Leser. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1971, S. 12–22.
Heinrich LOTZELER: Die außerwissenschaftliche Kunsterfahrung. In: Jahrbuch für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft. Herausgegeben von Heinrich LOTZELER. Band 7. Bonn 1962, S. 189–249, S. 189.
Norbert KuNisca: Antike Kunst (Zur Wiedereröffnung der Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum). In: Ruhr-Universität Bochum. Jahrbuch 1982, S. 67–92, S. 75.
Im Gedenken an Max Imdahl möchte ich, als auf ein Beispiel glanzvoll gelungener Beschreibungsleistung, auf seine Darstellung der „Sandmühle“ Günther Ueckers verweisen, die sich heute in der Bochumer Universitätskunstsammlung befindet. Die professionell hochtrainierte Unterscheidungsfähigkeit, die sich in dieser Beschreibung betätigt, wirkt um so stärker, als der Autor in diesem Fall sprachlich auf einen elaborierten Code gänzlich verzichtet hat (cf. Max IMDAHL: Moderne Kunst. In: Ruhr-Universität Bochum. Jahrbuch 1982, S.93–107). 104 2. Avantgarde
Cf. dazu meinen Aufsatz „Wiederentdeckung der Eliten“, in: Hermann LOBBE: Fortschrittsreaktionen. Über Konservative und destruktive Modernität. Graz, Wien, Köln 1987, S. 176–197.
Ulrich WEISNER: Kommunikationsprobleme mit gegenstandslosen Skulpturen der Moderne. Bielefeld o.J.
documenta 7. Band 2. Kassel 1982, S. 47.
So Peter WAPNEWSKI: Überlegungen zum Ort der Kunst in unserer Gesellschaft. In: Kunstreport. Sonderausgabe „Projekt Bundeskunsthalle“. Herausgeber: Deutscher Künstlerbund e.V. Berlin 1978, S. 12–18, S. 17. 106 2.
Das ist es, was man schließlich auch den kritischen Bemerkungen WAPNEWSKIS über das Verhältnis von Staat und Kunst entnehmen kann. — Zur juristischen Analyse des Kulturstaatsbegriffs, als einer Parallele des Begriffs des Sozialstaats, cf. Peter
wird die moderne kunst „gemanaget“? Ein Bericht mit Beiträgen von Theodor W. ADORNO, Jürgen BECKELMANN, MaX BENSE, Konrad FARNER, Daniel-Henri KAHNWEILER, Egon VIETrA u.a. Baden-Baden, Krefeld 1959, S. 41.
Zur Avantgarde-Metaphorik cf. Hannes BOHRINGER: Avantgarde–Geschichte einer Metapher. In: Archiv für Begriffsgeschichte. Band XXII (1978), S. 90–114.
Cf. unten S. 119ff. 108 2. Avantgarde
Cf. Charles JENCKS: Die Sprache der postmodernen Architektur. Die Entstehung einer alternativen Tradition. Stuttgart 21980, S. 132ff.: „Postskriptum für einen radikalen Eklektizismus“.
Cf. dazu Laszlo GLOZER: Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939. Köln 1981.
Auge, so erkennt man freilich, daß die aktuelle Eklektizismus-Renaissance einen veränderten kulturellen Stellenwert hat. In der Frühzeit des historischen Bewußtseins, die mit der Hoch-Zeit der Aufklärung zusam-7 Cf. oben S. 102f. 112 2. Avantgarde
Wolf LEPENIES: Das Ende der Naturgeschichte. Wandel kultureller Selbstverständlichkeiten in den Wissenschaften des 18. und 19. Jahrhunderts (1976).
Frankfurt a. M. 1978. Cf. W. DRAEGER: Trompe-l’oeil — Anmerkungen zu seiner Entwicklung. In: du. Die Kunstzeitschrift. 6 /1980, S. 22–62.
Carl DAHLHAUS: Abkehr vom Materialdenken? In: Algorithmus, Klang, Natur: Abkehr vom Materialdenken? Die 31. Internationalen Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt. Beiträge von: Clarence BARLOUGH, Carl DAHLHAUS, Brian FERNEYHOUGH, Gerard GRISEY, Harry HALBREICH, Helmut LACHEMANN, Michaël LÉVINAS, Michael MARSCHALL, Tristan MURAIL, Nora POST. Mainz, London, New York, Tokyo 1984, S. 45–55, S. 53.
Cf. dazu die Skizze elementarer historischer Wandlungen des Begriffs des Klassischen bei Hans-Georg GADAMER: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. 3., erweiterte Auflage. Tübingen 1972, S. 269–275: „Das Beispiel des Klassischen“.I Carl Friedrich GETHMANN: Zur Grammatik von „Klassisch”. In: Freiheit und Verbindlichkeit. Festschrift zum sechzigsten Geburtstag von Matthias Kohn. Herausgegeben von Heinz KNOBELOCH. Aachen 1988, S. 315–323.
Avantgarde
Cf. dazu Norbert KNoPP: Das Problem der Klassik als Norm. In: Rudolf BOCKHOLDT (Hrsg.): Über das Klassische. Frankfurt a. M. 1987, S. 204–209, S. 204.
Rudolf BOCKHOLDT: Über das Klassische der Wiener klassischen Musik. In: a.a.O., S. 225–259, S. 225.
Hans Robert JAUSS hat deutlich gemacht, daß aus der Kontrasterfahrung von normativ ausgezeichneter älterer Kunst und der Kunst der „Modernen“, die bereits die berühmten „Querelles des Anciens et des Modernes” erfüllte, schließlich das spezifisch moderne Bewußtsein der historischen Natur des Unterschieds zwischen beiden resultierte. Cf. dazu Hans Robert JAUSS: Ursprung und Bedeutung der Fortschrittsidee in den „Querelles des Anciens et des Modernes“. In: Die Philosophie und die Frage nach dem Fortschritt. Herausgegeben von Helmut KUHN und Franz WIDMANN. München 1964, S. 51–72. - Ich habe das Resultat dieser Untersuchungen in den Satz „Die Historisierung der Kunst ist das kulturelle Endergebnis der Versuche, zwischen Altem und Neuem in der Kunst kanonisch zu validieren” zusammenzufassen versucht. Cf. dazu meine Abhandlung „Historisierung und Ästhetisierung. Über Unverbindlichkeiten im Fortschritt“, in: Hermann LOBBE: Die Aufdringlichkeit der Geschichte. Herausforderungen der Moderne vom Historismus bis zum Nationalsozialismus, S. 46–63, S. 46.
Martin WALSER: Was ist ein Klassiker? In: Klassiker Magazin Nr. 1. Frankfurt a. M. 1986, S. 5, 22. S. 5.
Gottfried BOEHM: Das imaginäre Museum und die Sprache der Bilder. In: a.a.O. (cf. Anm. 11), S. 210–217, 5. 216.
und damit auch seine Historisierung aushält. Zu diesem Grund der Zuwendung zum Klassischen und seinen Paradoxien in der Wissenschaftsgeschichte der klassischen Philologie cf. Karl REINHARDT: Die klassische Philologie und das Klassische. In: Karl REINHARDT: Vermächtnis der Antike. Gesammelte Essays zur Philosophie und Geschichtsschreibung. Herausgegeben von Carl BECKER. Göttingen 21966, S. 334–360, S. 336.
Hans Robert JAUSS: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft. In: Rainer WARNING (Hrsg.): Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis. 1975. 3., unveränderte Auflage. München 1988, S. 126–162, S. 140. 116 2. Avantgarde
Cf. meine in Anm. 14 zitierte Abhandlung a.a.O., S. 58.
So aber Norbert KNOPP, a.a.O. (cf. Anm. 12), S. 209.
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Lübbe, H. (2003). Avantgarde oder Wie man wider Willen die Vergangenheit fortschreitend interessanter macht. In: Im Zug der Zeit. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-540-38360-4_4
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