Zusammenfassung
Der Forschungszweig „Kriminalität bei Mädchen“ nimmt in der umfangreichen bundesdeutschen Forschungslandschaft zur „Jugendkriminalität“ noch weitgehend eine Randstellung ein. Zudem konzentrierte sich die sozialwissenschaftliche Forschung in den letzten zwanzig Jahren stärker auf Gewaltdelinquenz bei Jugendlichen als auf andere Deliktbereiche wie etwa Diebstahlskriminalität. Die Forschungsarbeiten zum Themenfeld „Mädchendelinquenz“, die Mitte der 70er Jahre bis Ende der 80er Jahre durchgeführt wurden, thematisierten neben Diebstahlskriminalität bei Mädchen (Gipser 1975, 1987) vor allem als „Verwahrlosung“ bezeichnete Formen von Devianz wie Trebegang (Trauernicht 1989), Suchtmittelabhängigkeit, Schulabsentismus oder Verstöße gegen gesellschaftlich vorherrschende Sexualnormen (Kieper 1980). In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren sind in einigen interpretativ-biografisch ausgerichteten Studien gewalttätige Handlungsorientierungen (u.a. Bruhns/Wittmann 2002; Möller 2001; Popp 2002; Silkenbeumer 2000, 2007) bzw. rechtsextreme Handlungsorientierungen (Köttig 2004) weiblicher Jugendlicher untersucht worden. In der kriminologischen wie sozialwissenschaftlichen Forschung zur Jugenddelinquenz wie Jugendgewalt finden sich wenige Untersuchungen, die über Grundauswertungen zur Verteilung nach Geschlecht hinausgehende differenzierte Analysen zu den Lebenslagen und -erfahrungen von delinquent auffällig gewordenen Mädchen vorlegen. Geschlechtsbezogene Normalitätskonstruktionen im Kontext von Devianz und Delinquenz führen offenbar auch dazu, dass bestimmte Handlungsweisen bei dem einen oder anderen Geschlecht überhaupt nicht oder nur aus einer geschlechterdichotomen Perspektive berücksichtigt werden (Popp 2003: 204). Offen bleibt in etlichen Erklärungsansätzen zu Geschlecht im Kontext von Problemverhaltensweisen, Devianz und Delinquenz gerade auch die Frage, wie Handlungsweisen von Mädchen verstanden werden können, die nicht dem stereotypen Bild „typischer“ Mädchendelinquenz entsprechen.
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Silkenbeumer, M. (2011). Jugendkriminalität bei Mädchen. In: Dollinger, B., Schmidt-Semisch, H. (eds) Handbuch Jugendkriminalität. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-94164-6_21
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