Zusammenfassung
Türkische und osteuropäische Migrantinnen kommen aus Ländern mit einem vergleichsweise niedrigen Alter bei der Familiengründung, einer höheren Kinderzahl und überhaupt einem hohen Stellenwert der Familie – dies sind aber Faktoren, die für alle Frauen in Deutschland zu eingeschränkten Bildungschancen führen. Der Beitrag geht der Frage nach, wie sich Familienmuster und Bildung nach der Migration in Deutschland entwickeln und welchen Einfluss Zuwanderungsregelungen und kulturelle Muster dabei haben. Er stützt sich auf Daten der standardisierten Befragung „frauen leben – Familienplanung und Migration im Lebenslauf“ (im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2007 bis 2010). Befragt wurden Frauen mit türkischem Migrationshintergrund (n = 842) und mit einer Herkunft aus den ehemaligen GUS-Staaten in Osteuropa und Vorderasien (n = 832) in vier westdeutschen größeren Städten. Gezeigt wird, dass türkischen Heiratsmigrantinnen, die jung und ohne Ausbildungsabschluss nach Deutschland kamen, eine Ausbildung nach der Familienphase nur schwer nachholen konnten. Osteuropäische Migrantinnen, die jung im Herkunftsland geheiratet haben, haben wegen der dortigen Vereinbarkeitsmöglichkeiten eine bessere Qualifikation, die Abschlüsse wurden in Deutschland aber nicht unbedingt anerkannt. In der zweiten Generation der in Deutschland Geborenen bzw. hier überwiegend Aufgewachsenen verändern sich die Familienmuster; die Bildungsnachteile bleiben in abgemilderter Form bei den türkischen, kaum aber bei den osteuropäischen Migrantinnen erhalten.
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Notes
- 1.
Als Migrantinnen gelten dabei alle, die selbst oder deren Eltern zugewandert sind (entsprechend der Definition des Mikrozensus 2005); zur „zweiten Generation“ zählen alle, die entweder in Deutschland geboren sind oder in einem Alter von unter 12 Jahren nach Deutschland zugewandert sind, die also überwiegend in Deutschland aufgewachsen sind.
- 2.
Bildung ist meist über formale Bildungsabschlüsse definiert und nicht in einem weiter gefassten Verständnis als kulturelles Kapital (Nohl et al. 2006).
- 3.
Ebenso ist zu berücksichtigen, ob eine Familie bereits im Herkunftsland gegründet wurde und die Frauen in jüngerem oder höherem Alter migrierten (Nauck 1989).
- 4.
Migrantinnen aus der Türkei und aus den ehemaligen GUS-Staaten sind in Deutschland mit 14,2 % (Türkei) bzw. 11,2 % (Russische Föderation und Kasachstan) der Zugewanderten die beiden größten Zuwanderungsgruppen (Rühl und BAMF 2009, S. 21).
- 5.
Der „osteuropäische“ Migrationshintergrund bezieht sich auf eine (familiäre) Herkunft aus den europäischen wie asiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion (Armenien, Aserbaidschan, Estland, Georgien, Kasachstan, Kirgisien, Lettland, Litauen, Moldawien, Russische Föderation, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan, Weißrussland).
- 6.
Durchführung TNS Emnid; Einsatz türkisch bzw. russisch sprechender Interviewerinnen.
- 7.
Definiert als: die Heirat fand in der Spanne von einem Jahr vor bis einem Jahr nach der Migration statt (Helfferich et al. 2011, S. 31).
- 8.
Seit 1992 kommen fast alle Aussiedler und Aussiedlerinnen nur noch aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, d. h. aus den in der Studie „frauen leben“ für die osteuropäische Stichprobe ausgewählten Ländern.
- 9.
Weitere Zuwanderungsmöglichkeiten boten die Heiratsmigration, die Anerkennung als jüdische Kontingentflüchtlinge oder eine Zuwanderung aufgrund eines nicht gedeckten Arbeitskräftebedarfs.
- 10.
Aussiedlerinnen sind zwar deutsche Staatsangehörige, de facto aber wie andere Zuwanderer von Integrationsproblemen und gesellschaftlicher Randstellung betroffen. Entsprechend wurden im Mikrozensus 2005 Aussiedler zu den Personen mit Migrationshintergrund gezählt. In der Studie „frauen leben 2“ zeigten Frauen, die den Migrationsstatus „Aussiedlerin“ angaben, und Migrantinnen aus Osteuropa, die nicht den Aussiedlerstatus hatten, ähnliche Familienbildungsprozesse und Bildungsverläufe.
- 11.
In den standardisierten Daten lässt sich nicht unterscheiden, ob die Schwangerschaft erst eintrat und dann geheiratet wurde oder umgekehrt, wenn für beide Ereignisse das gleiche Jahr angegeben wurde.
- 12.
Diese Zahl schließt neben den vorhandenen Kindern und den zusätzlich gewünschten Kindern auch – falls zutreffend – die derzeitige Schwangerschaft mit ein.
- 13.
Etwa 50 % der ausländischen Bevölkerung leben in Städten über 100.000 Einwohnern (Schönwälder und Söhn 2007). Auch der Anwendungsbezug zur kommunalen Familienpolitik motivierte die Kooperation mit den Kommunen.
- 14.
In der Studie „frauen leben – Familienplanung und Migration im Lebenslauf: 4 % der türkischen Frauen waren eine Partnerschaft mit einem deutschen Mann eingegangen; 25 % Verwandtenehen, vgl. Nauck 2007.
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Helfferich, C., Klindworth, H. (2014). Familienentwicklung und Bildungsverläufe im Leben von Migrantinnen. In: Geisen, T., Studer, T., Yildiz, E. (eds) Migration, Familie und Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-94126-4_12
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