Zusammenfassung
Der Rationalitätsbegriff ist notorisch vieldeutig. Darauf reagieren nicht nur mannigfache Klärungsversuche, sondern auch gelegentliche Kapitulationen – entweder in einer Bereitschaft, diese Mannigfaltigkeit als gegebene einfach hinzunehmen oder in der Bestreitung der Notwendigkeit, den Rationalitätsbegriff überhaupt grundlegend verwenden zu müssen. Für Habermas freilich steht der Rationalitätsbegriff im Zentrum (Habermas 1987a: 15ff.). Im Folgenden werde ich darstellen, dass er aber auch bei Habermas nicht einheitlich ausfällt. Schon die Unterscheidung strategischer und kommunikativer Rationalität wirft die Frage auf, worin die Gemeinsamkeit beider Verwendungen besteht. Darüber hinaus wird der Rationalitätsbegriff komplexer, wenn er auf gesellschaftliche Ordnungen und Entwicklungen bezogen wird. Während die lebensweltliche Rationalisierung gegebenenfalls noch als Ausbreitung kommunikativer Rationalität in der Lebenswelt verstanden werden kann, lässt sich systemische Rationalität auf die strategische Rationalität nicht abbilden. Schließlich ist ein Begriff gesellschaftlicher Rationalisierung und Rationalität im Spiel, bei dem zu fragen ist, in welchem Maße er allein auf kommunikative Rationalisierung zurückgeführt werden kann, wenn er die systemische Rationalität mit umfassen soll. Ich werde dafür plädieren, dieser Doppelkonstruktion der gesellschaftlichen Rationalität gegenüber skeptisch zu sein, weil der Begriff der systemischen Rationalität einerseits unbestimmt ist und andererseits moderne Sozialordnungen keineswegs auf von Motiven und Intentionen abgekoppelten Ordnungen beruhen.
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Greve, J. (2011). Rationalität und Vernunft bei Habermas. In: Maurer, A., Schimank, U. (eds) Die Rationalitäten des Sozialen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-94118-9_5
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