Zusammenfassung
Die scheinbar unumkehrbaren sozio-ökonomischen Veränderungen stellen die berufliche Aus- und Weiterbildung – und insbesondere die kaufmännische Erstausbildung – vor neue Herausforderungen. Studien verweisen mit Blick auf den „demographischen Faktor“ darauf, dass die Differenz zwischen Erwerbspersonenpotential und Arbeitskräftebedarf um mehr als die Hälfte schrumpft (von ca. 5 Mio. Personen in 2010 auf 2 Mio. in 2025) (u.a. Fuchs & Dörfler 2005). Branchenanalysen zeigen, dass der Anteil am Dienstleistungssektor bis 2020 auf 77,3% ansteigen wird (u.a. Burkert 2008). Die schnellen Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie implizieren, dass zur Bewältigung von täglichen Arbeits- und Lebenssituationen zunehmend neue ‚Arbeitshandlungen‘ zur Bedienung der neuen Medien und zur Erbringung von Wertschöpfungsleistungen notwendig sind (u.a. EU 2009). Die steigende Internationalisierung und Globalisierung erfordern Offenheit gegenüber Fremdheit und interkulturelle Kompetenz (u.a. EU 2009). Diese Megatrends korrespondieren mit Umstrukturierungen in den Arbeitszuschnitten und Arbeitsanforderungen, die einerseits mehr und andere Fähigkeiten erfordern sowie andererseits andere Modi des Erwerbs erforderlich machen (u.a. Mayer & Solga 2008, 1). Kaufmännische Berufe lassen sich heute weniger als ‚Sachbearbeitung‘ charakterisieren. Vielmehr bestehen die Arbeitsplatzherausforderungen in ‚Fallbearbeitungen‘ unter Berücksichtigung von Kosten, Qualität der Produkte und Dienstleistungen sowie in der Einschätzung des Marktes und einer gezielten Kundenorientierung (vgl. u.a. Brötz & Schapfel-Kaiser 2009; Achtenhagen 2002; Getsch 2002; Picot, Reichwald & Wigand 2001; Baethge & Schiersmann 2000). Eine so verstandene kaufmännisch-betriebswirtschaftliche Arbeit erfordert Fähigkeiten des unternehmerischen Denkens, der Übernahme von Verantwortung, des selbständigen, kooperativen und kommunikativen sowie entscheidungsbezogenen Handelns, aber auch des Steuerns betriebswirtschaftlicher Prozesse und damit „wirtschaftliche Gestaltungskompetenz“ (vgl. Tramm 2009; Brötz & Schapfel-Kaiser 2009). Neben dieser eher „aufgabenbezogenen Problemlösekompetenz“ werden gleichzeitig übergreifende Fähigkeiten (basicand cross-functional skills; Mumford, Peterson & Childs 1999) wie soziale, emotionale, selbstregulative, aber auch ethisch-moralische (Beck 2000; 2006) Kompetenzen erforderlich, da kooperative Arbeitsformen, Service und Führungsaufgaben quantitativ zunehmen werden (Mayer & Solga 2008, 2f.; Burkert 2008; Prognos 2009). Diese Transformationen sowie der damit verbundene Wechsel von Lebenszeitarbeitsplätzen hin zu flexiblen „patchwork-Karrieren“ (Baethge & Schiersmann 2000) und damit korrespondierenden Konzepten der „Employability“ (Kres 2007) machen ein lebenslanges Lernen erforderlich, das ein modulares Aus- und Weiterbildungssystem erfordert, in dem Lernleistungen sukzessiv auf- und ausgebaut (cumulative credits) und zugleich Zwischenstände ausgewiesen und anerkannt/zertifiziert werden können (intermediate certificate) (Mayer & Solga 2008, 3). Die Basis eines solchen flexiblen, modularen Systems bilden „Kompetenzen“ und „Standards“ zur Abbildung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, wie diese von Weinert (2001) konzeptualisiert wurden und den aktuellen internationalen Vergleichsstudien wie TIMSS, PISA, VET-LSA etc. zugrunde liegen (Hartig, Klieme & Leutner 2008).
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Weber, S., Trost, S. (2011). Sind wir mit unserer kaufmännischen Erstausbildung noch auf dem ‚richtigen‘ Weg ins 21. Jahrhundert?. In: Zlatkin-Troitschanskaia, O. (eds) Stationen Empirischer Bildungsforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-94025-0_4
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