Zusammenfassung
Erst im vergangenen Jahrzehnt ist Diskursforschung auch in (Teilen) der Politikwissenschaft angekommen (vgl. Nullmeier 2001; Kerchner/Schneider 2006a, b). Mit ein Grund für deren lange Resistenz gegenüber diskursanalytischen Ansätzen war die Schwierigkeit, den in anderen Disziplinen bereits integrierten „linguistic turn“ mit einem politologischen Fokus auf Interessen, AkteurInnen und Institutionen zusammen zu bringen. Die Wissenssoziologische Diskursanalyse (WDA), die die soziale Bedingtheit sowie die soziale Herstellung von Wissen ins Zentrum ihres Erkenntnisinteresses stellt (vgl. Keller 2004, 2005), ermöglicht dies. Für politikwissenschaftliche Fragestellungen kann sie insbesondere mit jenen Zugängen produktiv verschränkt werden, die sich dem bereits bei Foucault angelegten, aber bislang wenig ausgearbeiteten Begriff des Dispositivs widmen (vgl. Bührmann/Schneider 2008). Dann wird nicht mehr nur nach den Regeln des (nicht) Sagbaren und dessen sozialer Kontextualisierung gefragt, sondern auch nach den strategischen Funktionen von Diskursen innerhalb spezifischer politischer Rahmenbedingungen in Zeit und Raum. Einen solchen Forschungszugang lege ich in diesem Beitrag anhand der Analyse von spezifischem Bildmaterial dar: Buchumschläge von (wissenschaftlichen) Publikationen zum Thema „Selbstmordattentate“. Ich verschränke die wissenssoziologisch-diskursforschende Analyse des Spezial- und ExpertInnenwissens aus dem Feld der Terrorismusforschung mit postkolonialer Theorie und feministischer Kritik an den Internationalen Beziehungen. Meine Perspektive versteht sich mit der Integration nicht-textlicher Materialien erstens als methodologische Erweiterung eines wissenssoziologisch-diskursforschenden Ansatzes im Anschluss an die WDA (vgl. Keller 2005) und zweitens als eine Möglichkeit, sozialwissenschaftliche Diskursforschung gerade über die Integration einer visuellen Ebene in Richtung einer Dispositivforschung (vgl. Bührmann/Schneider 2008) weiter zu entwickeln. Mit der theoretischen Verortung von Fragestellung, Material und Methoden wird drittens perspektivisch für eine eurozentrismuskritische Weiterentwicklung der wissenssoziologischen Diskurs- und Dispositivforschung plädiert, die die Kategorie Raum auch als epistemologische versteht.
Für Diskussionen von Vorarbeiten zu diesem Aufsatz danke ich Reiner Keller und allen Teilnehmerinnen des Netzwerktreffens Wissenssoziologische Diskursanalyse im April 2008 (Universität Koblenz-Landau) sowie den Kollegiatinnen des Graduiertenkollegs Geschlecht als Wissenskategorie (Humboldt-Universität zu Berlin) und Silke Wenk anlässlich eines Workshops im November 2007. Für die Einladung zu einem Beitrag im vorliegenden Band sowie wertvollen Anregungen zu dessen Überarbeitung danke ich Inga Truschkat und Reiner Keller, für punktgenaue kritische Lektüren insbesondere Magdalena Freudenschuß, Kerstin Piepenstock und Helmut Krieger.
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Die hier dargestellten Ergebnisse bilden einen kleinen Ausschnitt aus einer mehrjährigen transdisziplinären Forschungsarbeit, bei der Texte, Bilder, Modelle, Grafiken und paratextliche Elemente untersucht wurden. Hier werden sieben Bildanalysen von Buchumschlägen zusammenfassend dargestellt (siehe Abbildungsverzeichnis am Ende des Aufsatzes). Zu einer detaillierten Argumentation der Materialauswahl der gesamten Arbeit bzw. auch zu ausführlicheren Bildanalysen siehe Brunner (2008 bzw. 2010).
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Eine überzeugende Kritik am eurozentrischen Grundgerüst von Foucaults Werk und dessen erfolgreicher Rezeptionsgeschichte findet sich etwa bei Stoler (2002). Als grundlegend für die Konfrontation deutsch(sprachig)er Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften mit Postkolonialer Theorie sind die Sammelbände von Conrad/Randeria (2002), Steyerl/Gutiérrez-Rodríguez (2003) und Castro Varela/Dhawan (2005) zu nennen. Zur Verschränkung eines wissenssoziologischen Zugangs mit Postkolonialer Kritik siehe auch Singer (2005), für eine postkoloniale Kritik der Soziologie als Herrschaft reproduzierende Disziplin für die deutschsprachige Debatte siehe Reuter/Villa (2010) sowie Gutiérrez-Rodríguez/Boatcă/Costa (2010) für die internationale bzw. englischsprachige.
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Viele TerrorismusforscherInnen positionieren sich durchaus explizit als Co-AkteurInnen der Verhinderung und Bekämpfung von Selbstmordattentaten. Wie ich in meiner Arbeit zeige, ist das Terrorismuswissen jedoch weitgehend so beschaffen, dass sich ihm der Blick für eine Verhinderung (etwa im Sinne der Analyse struktureller Gewalt auf globaler Ebene) verstellt und tendenziell eher Logiken der unmittelbaren Antiterror-Bekämpfungspraxis übernommen werden.
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Ausführlicher zu meinem Zugang, meiner Verortung und (Selbst-)Positionierung in diesem Feld siehe Brunner (2008 bzw. 2010); siehe auch die Formulierungen in Fragebündel 3.3.5 (Relationierungen).
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Dieses bildhafte Wissen ist keineswegs als isoliert von textuellem Wissen zu betrachten. Vielmehr finden sich über Metaphern, Tropen, Analogien etc. zahlreiche Querbezüge zu „textuellen Bildern“. Auf diese Querverbindungen zu Texten aus den Büchern selbst, aber auch aus zahlreichen untersuchten Fachzeitschriften des Forschungsfeldes kann hier aus Platzgründen nicht eingegangen werden.
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Wertvolle Analyse- und Interpretationsideen haben dabei insbesondere Magdalena Freudenschuß, Ronja Eberle, Gunilla Fincke, Sonja John und Kerstin Piepenstock beigesteuert.
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Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Aufsatzes ist Breckners umfassendes Werk zur Sozialtheorie des Bildes (2010) noch nicht erhältlich. Ich beziehe mich hier im Wesentlichen auf einen Aufsatz (2003), einen Vortrag sowie ein dabei zur Verfügung gestelltes detailliertes Handout der Autorin (2007).
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Brunner, C. (2013). Un/Sichtbarkeiten im Terrorismuswissen. Die Sinnformel Selbstmordattentat auf Buchumschlägen der Terrorismusforschung. In: Keller, R., Truschkat, I. (eds) Methodologie und Praxis der Wissenssoziologischen Diskursanalyse. Theorie und Praxis der Diskursforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-93340-5_14
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