Zusammenfassung
Die nahezu allgegenwärtige Verfügbarkeit des Begriffs ‚Innovation‘ erweckt den Eindruck eines Innovationsimperativs, dem sich kaum ein gesellschaftlicher Bereich entziehen kann, er ‚regiert‘ in das Denken und Handeln ‚hinein‘. Innovationen sind durch ihre Suggestivkraft gekennzeichnet: Sie versprechen Neuerung, Verbesserung, Dynamik, zumindest aber eine Veränderung. Auch im Bildungssystem wurde in den letzten Jahren eine Vielzahl von Innovationen angestoßen. Gleichzeitig zeigen Studien aus verschiedenen Disziplinen, dass Innovationen weder erzwungen oder durchgesetzt noch einfach kopiert, reproduziert oder übernommen werden können. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass es sich bei Innovationen um komplexe, selektive Konstruktionsprozesse handelt. Nicht nur die Innovation selbst gilt als wissensbasiert, sondern auch der Vorgang ihrer Anwendung und Verbreitung, durch den sie erst sozial wirksam wird. Vor diesem Hintergrund werden Innovationen auch verstanden als Prozesse der Wissensgenerierung und -anwendung (vgl. Leonard 2006; Peine 2006; Rammert 2002) bzw. des Lernens (vgl. Maier et al. 2003a; Dolowitz/Marsh 1996) und der Sinnstiftung (vgl. Heideloff 1998).
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Notes
- 1.
Einige Abschnitte sind stark überarbeitete Ausschnitte aus Bormann (2011)
- 2.
Mein Dank für konstruktive Hinweise und Diskussionen im Zusammenhang mit der Durchführung und Interpretation der Wissenssoziologischen Diskursanalyse gilt Prof. Dr. Inga Truschkat (Universität Hildesheim), Dr. Anja Dieterich (Wissenschaftszentrum Berlin) sowie meinen Kolleginnen und Kollegen aus den Forschungswerkstätten und -kolloquien, die ich von 2006 bis 2009 besucht habe.
- 3.
Zur Unterscheidung zwischen implizitem und explizitem Wissen vgl. Ryle (1966); zur Unterscheidung unterschiedlicher Wissensarten überblicksartig vgl. Hug (2003); zur Bedeutung impliziten Wissens vgl. Polanyi (1985); zur sozialen Bedingtheit und Bedeutung von Wissen vgl. Mannheim (1980); ferner Willke (2004); Schützeichel (2007).
- 4.
Keines der Interviews wurde persönlich, sondern alle wurden schriftlich durchgeführt (mdl. Auskunft der wissenschaftlichen Referentin in der Arbeitsstelle beim Vorsitzenden der UNDekade am 13.6.2008): Die Interviewten haben die Fragen in schriftlicher Form erhalten und diese in Absprache mit den Mitgliedern ihrer Arbeitsgruppe schriftlich beantwortet.
- 5.
Eine detaillierte methodologische Diskussion der Synthese von Dokumentarischer Methode und wissenssoziologischer Diskursanalyse wird hier nicht angestrebt (dazu Schwab-Trapp 2006; Bittner 2008).
- 6.
Die Grobanalyse folgt somit an dieser Stelle noch nicht dem Prinzip des Paradigmas interpretativer Rekonstruktion, sondern wird eher subsumtionslogisch durchgeführt (dazu Rosenthal 2008: 56ff.).
- 7.
Zum Umfang von Sequenzen führt Keller (2004) aus, dass „es sich um mehrere zusammengehörige Sätze, um Abschnitte, Kapitel oder ganze Texte handeln“ (ebd.: 105) kann.
- 8.
Die im Folgenden verwendeten Beispiele sind, leicht modifiziert, aus Bormann (2011) entnommen.
- 9.
Das gewählte Beispiel ist dem bedeutungsorientierten Typ (B) zugeordnet.
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Bormann, I. (2013). Zur wissenssoziologisch-diskursanalytischen Rekonstruktion von Innovationen als ‚Wissenspassagen‘. In: Keller, R., Truschkat, I. (eds) Methodologie und Praxis der Wissenssoziologischen Diskursanalyse. Theorie und Praxis der Diskursforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-531-93340-5_13
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