Zusammenfassung
Dass dem Tanzen ein Potential zugeschrieben wird, Veränderungen herbeizuführen, hat eine lange Geschichte. Einerseits veränderten gesellschaftliche Umbrüche das Tanzen selbst: Eine Untersuchung über das Verhältnis von Sozialdisziplinierung und Tanzlust in der Frühen Neuzeit beschreibt, wie etwa zur Zeit der Bauernkriege dem bäuerlichen, heterosexuellen Paartanz die Elemente des Herumwirbelns und – wie Kritiker damals empört berichteten – in die Luft Werfens der Frau, hinzugefügt wurden. Andererseits entwickelte sich das Tanzen zu einer beliebten Projektionsfläche, um starke Bilder für befürchtete oder erwünschte Veränderungen zu entwerfen. Den Tänzer_innen wurde dabei meist unterstellt, allzu ausgelassen, zu lang oder zu oft tanzen zu wollen und so die Grenzen von Festund Alltagskultur zu verletzen. Im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts unterwarfen immer zahlreichere Verordnungen und Erlasse das Tanzen den Reglements alltäglicher Lebensführung. Ihre beständige Reformulierung und Neufassung deutet zugleich auf ein beständiges Scheitern dieser Bestrebungen hin (Jung 2001, 46 ff.). Dennoch waren die Verordnungen insofern produktiv, als dass auf der Basis der hier festgelegten Regeln eine bürgerliche Tanzkultur entstand, die einerseits höfische Tänze für sich reklamierte und andererseits Tänze aus einer bäuerlichen Kultur sublimierte, indem sie ihre improvisierenden und ekstatischen Elemente aus dem Ballsaal verbannte (Aldrich 1991; Fink 1996).
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Literatur
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Kusser, A. (2011). Körper in Schieflage. In: Pieper, M., Atzert, T., Karakayalı, S., Tsianos, V. (eds) Biopolitik – in der Debatte. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92807-4_13
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