Zusammenfassung
Die Begriffe „säkulare Gesellschaft“ bzw. „säkulare Kultur“ gehören im Gefolge von Max Webers Analyse kultureller Rationalisierung und seiner Diagnose der „Entzauberung“ zum klassischen Repertoire der Soziologie für die Beschreibung moderner Gesellschaften. Zwar sind Einwände gegen die analytische Fruchtbarkeit des Säkularisierungsbegriffs u.a. aufgrund seiner normativen – entweder pejorativen oder affirmativen – Konnotationen inzwischen Legion (vgl. nur Kaufmann 1989: 278f.; Gabriel 1992: 141ff.). Gleichwohl aber bildet er den fortwährenden Hintergrund der aktuellen Diskussion – und zwar hinsichtlich seiner beiden Komponenten: der Beschreibung sozialer Differenzierung und Verselbständigung gesellschaftlicher Funktionsbereiche von der Religion (im Anschluss an Max Weber) einerseits wie des Entstehens einer „säkularen Religion“ („Zivilreligion“) (im Anschluss an Emile Durkheim) andererseits. Einer Diskussion, deren Konturen nicht zuletzt durch das von Jürgen Habermas eingespeiste Stichwort einer „postsäkularen Kultur“ geprägt werden. Gerade die analytische Stoßrichtung der Begriffsbildung von Habermas ist jedoch zu unterscheiden von der typischerweise damit verbundenen Optik einer Revitalisierung des Religiösen.
Der Beitrag geht zurück auf einen Vortrag an der Universität Heidelberg im Oktober 2006. Er wurde für die vorliegende Schriftfassung durchgängig überarbeitet und erheblich erweitert. Oliver Berli und Stefan Nicolae danke ich für ihre kritischen Hinweise.
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Endreß, M. (2011). „Postsäkulare Kultur“? Max Webers Soziologie und Habermas‘ Beitrag zur De-Säkularisierungsthese. In: Bienfait, A. (eds) Religionen verstehen. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92777-0_5
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