Zusammenfassung
Über das Schreiben von Beobachtungsprotokollen lässt sich nur sinnvoll nachdenken, wenn der gesamte Prozess ihrer Produktion, ihrer anschließenden Weiterverarbeitung und Interpretation sowie ihrer Verwendung im ethnographischen Endprodukt in den Blick genommen wird. Die ethnographische Methodenliteratur thematisiert jedoch kaum die Gesamtheit des Prozesses, sondern konzentriert sich weitgehend auf die Frage, wie Beobachtungsprotokolle zu verfassen sind. Diese Frage scheint methodisch leicht handhabbar und kann als handwerklicher Aspekt einer ansonsten komplexen Forschungsstrategie schnell abgehandelt werden. So finden sich in der Methodenliteratur immer wieder praktische Tipps und Ratschläge zum Verfassen von Beobachtungsprotokollen. Demgegenüber erscheint der Gesamtprozess des ethnographischen Schreibens als eine Kunstlehre, die methodisch kaum zu operationalisieren ist. Dabei wird festgestellt, dass die Ethnographie sich von anderen Forschungsstrategien durch einen weniger methodisch strengen Umgang mit den gewonnenen »Daten« unterscheide. Vielmehr gestalte sie sich als eine »vielschichtige Schreibpraxis (…). Wenn quantitative Sozialforscher primär als ›exakte‹ Rechner erscheinen, und Biografieforscher und Konversationsanalytiker vor allem als gründliche ›Leser‹, dann kann man Ethnographen als extensive ›Schreiber‹ charakterisieren« (Amann/Hirschauer 1997, S. 29). Der wesentliche Unterschied zu anderen Forschungsstrategien scheint zu sein, dass im Rahmen ethnographischer Forschungsstrategien erstens Datenerhebung und Dateninterpretation weniger streng voneinander getrennt werden und zweitens der größere Teil der EthnographInnen sich nicht auf die Protokolle und Feldnotizen als fertige Transkriptionen einer erlebten Praxis verlassen, die es anschließend »nur noch« zu interpretieren gilt. Die vielschichtige Schreibpraxis bringt stattdessen vielfältige Texte hervor, die durch neue Erfahrungen und Texte ergänzt, moduliert, neu sortiert, reformuliert oder auch vernichtet werden können und abschließend in einer dichten, ethnographischen Beschreibung münden.
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Cloos, P. (2010). Narrative Beobachtungsprotokolle. In: Heinzel, F., Thole, W., Cloos, P., Köngeter, S. (eds) „Auf unsicherem Terrain“. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92138-9_14
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