Zusammenfassung
Neuere Interventionsformen im Jugendstrafrecht lassen sich mit dem Begriff „Diversion“ kennzeichnen. Sie bedeutet Ablenkung im Sinne von Weichenstellung bzw. Umleitung. Gemeint ist eine Umleitung um das System (jugend-)strafrechtlicher formeller Sozialkontrolle durch informelle Erledigung, häufig verbunden mit einer Weichenstellung vom Jugendstraf- zum Jugendhilferecht. Es geht um eine Vermeidung der Anklage (staatsanwaltschaftliche Diversion) bzw. von Hauptverhandlung und Verurteilung (richterliche Diversion). Gegenwärtig werden 68–69% aller Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende informell erledigt, während die Vergleichszahl im Strafprozessrecht bei knapp über 50% liegt. Die Diversionsbewegung ist gleichzeitig ein gelungenes Beispiel für eine (von mir so genannte) Doppelintegration von Theorie und Praxis einerseits und von Rechts- und Sozialwissenschaften (hier Strafrecht und Kriminologie) andererseits. In Projekten wie „Brücke“, „Handschlag“ und „Waage“ von der Praxis entwickelt, rechtlich im Rahmen des offenen Weisungskatalogs nach § 10 JGG zugelassen und kriminologisch durch die Vermeidung von Stigmatisierungseffekten förmlicher strafrechtlicher Sozialkontrolle abgesichert, wurde diese so genannte „Reform von unten“ bzw. „innere“ Reform zum Motor für das erste JGG-Änderungsgesetz 1990: „Neuere kriminologische Forschungen haben bewiesen, dass Kriminalität im Jugendalter meist nicht Indiz für ein erzieherisches Defizit ist, sondern überwiegend als entwicklungsbedingte Auffälligkeit mit dem Eintritt in das Erwachsenenalter abklingt und sich nicht wiederholt. Eine förmliche Verurteilung Jugendlicher ist daher in weitaus weniger Fällen geboten, als es der Gesetzgeber von 1953 noch für erforderlich erachtete.
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Sonnen, BR. (2010). Neuere Interventionsformen im Jugendstrafrecht. In: Dollinger, B., Schmidt-Semisch, H. (eds) Handbuch Jugendkriminalität. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92131-0_33
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