Zusammenfassung
Als Prävention werden (sozial-)technologische Manipulationen von Geschehensabläufen bezeichnet, deren kognitive Grundoperation darin besteht, gegenwärtige Zustände zur Wahrscheinlichkeit künftiger Ereignisse in Beziehung zu setzen. Mit der Kennzeichnung von Politiken, Maßnahmen oder Vorrichtungen als präventiv wird dabei typischerweise ein doppeltes normatives Versprechen gegeben: Es wird versprochen Entwicklungen abzuwehren, die normativ – nämlich als problematisch, gefährlich, ungerecht oder einfach schlecht – beschrieben werden und es wird versprochen, die Kontinuität und (relative) Unversehrtheit einer Gegenwart zu erhalten. Diese Gegenwart wird insofern gegenüber alternativen Entwicklungen affirmiert, die als Störungen, Schädigung oder Bedrohungen verstanden werden. Bernd Dollinger (2006: 148) spricht diesbezüglich von einer „strukturkonservative[n] Tendenz von Prävention. Normen werden als verbindliche Handlungsmaximen definiert und das sie fundierende Moralsystem reproduziert“. Sicherlich gibt es verschiedene Verständnisse von Prävention, zumal der „Gegenstandsbereich vorbeugenden Handelns […] offen […ist und] erst im vorbeugenden Zugriff selbst Gestalt an[nimmt]“ (Bröckling 2008: 39). Der Begriff selbst ist relativ weit und unscharf; je nach Fachgebiet und Intention erfährt er eine andere Wendung. Zwar gehen alle Akteure in diesem Feld von der originären Wortherkunft aus, nämlich dem prevenire als Zuvorkommen, doch so meint ein Mediziner mit Prävention eher die Krankheits- oder Operationsfolgen vorbeugende Maßnahme, ein Kriminologe in der Regel die Kriminalität reduzierende und ein Politiker beispielsweise die Krieg verhindernde, dem man etwa – sensu Machiavelli – mit Krieg zuvorkommt
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Reder, R., Ziegler, H. (2010). Kriminalprävention und Soziale Arbeit. In: Dollinger, B., Schmidt-Semisch, H. (eds) Handbuch Jugendkriminalität. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92131-0_24
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