Zusammenfassung
Es gibt vielfältige Verfahren und Mittel, wie eine Gesellschaft sich über die Frage ihrer „guten Ordnung“, ihre moralischen Grenzziehungen, ihre Zugehörigkeiten und Ausschließungen, ihren „unveräußerlichen“ Kanon gemeinsam zu teilender Werte – kurzum über die Grundlagen und Bestandteile ihrer Macht- und Herrschaftsordnung verständigen kann. Zu einem bevorzugten Verfahren zählt in modernen Gesellschaften die öffentliche Rede über die Jugend – in den Massenmedien, den Wissenschaften, der Politik, der professionellen Sozialen Arbeit. Die Problematisierung der Jugend stellt dabei ein wesentliches Medium und (Funktions-)Element in der Herstellung, Legitimation und fortwährenden Selbstvergewisserung von gesellschaftlichen Verhältnissen dar, für die soziale Ungleichheiten und Ausschließungen, Ausbeutung und Diskriminierung konstitutiv sind. Im Rahmen der gängigen Postulierung einer Dauerkrise der Jugend, die sich zyklisch intensiviert und zu Moralpaniken verdichtet (z.B. in den „Drogenwellen“ ab Ende der 1960er, in der „Jugendgewalt“ ab den 1990er Jahren), können breit gefächerte Szenarien einer Dramatisierung „sozialer Probleme“ entworfen werden. Die Rede über die Jugend wird dabei zum unerschöpflichen Medium und legitimen Ort der Thematisierung gesellschaftlicher „Unordnung“ und „Regellosigkeit“, der vielstimmigen Artikulation von kollektiven und individuellen Unsicherheiten und Ängsten, skeptischen Diagnosen gesellschaftlicher Gegenwartszustände, nostalgischen Vergangenheitsverklärungen und sorgenschweren Zukunftsprognosen. Nicht zuletzt dient sie der verlässlichen Herstellung eines übergreifenden politisch-wissenschaftlich-professionellen Einvernehmens.
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Anhorn, R. (2010). Von der Gefährlichkeit zum Risiko – Zur Genealogie der Lebensphase „Jugend“ als soziales Problem. In: Dollinger, B., Schmidt-Semisch, H. (eds) Handbuch Jugendkriminalität. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92131-0_2
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