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Gilles Deleuze: Kultur und Gegenkultur

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Zusammenfassung

Im Juli 1972 hält Gilles Deleuze auf dem legendären Kolloquium „Nietzsche aujourd’hui“ in Cerisy-la-Salle einen Vortrag mit dem Titel „Pensée nomade“, „Nomaden-Denken“. Dort heißt es: „Als Beginn unserer modernen Kultur gilt das Dreigestirn Nietzsche, Freud, Marx. Gleichgültig, ob dabei jeder von vornherein entschärft wird. Marx und Freud sind vielleicht der Beginn unserer Kultur, aber Nietzsche ist etwas ganz anderes, nämlich der Beginn einer Gegenkultur.“ (Deleuze 1973: 367) Marxismus und Psychoanalyse erscheinen Deleuze, vor dem Hintergrund des gemeinsam mit Félix Guattari verfassten Anti-Ödipus, als fundamentale Kulturbürokratien, die das (unaufhörlich decodierte) gesellschaftliche Leben durch den Staat bzw. durch die Familie recodieren (vgl. Deleuze/Guattari 1972a). Dagegen eröffnet Nietzsche die Möglichkeit, die verfestigten Machtapparate auf Distanz zu halten, ihre Rechtfertigung bloßzustellen und ihre disziplinierenden Kräfte umzulenken. Den repräsentativen Makrostrukturen einer herrschenden Kultur stehen demzufolge „liliputanische“ und „subkulturelle“ Mikrostrukturen entgegen, die dem Richtungssinn fügsamer Anpassung an etablierte Gegebenheiten opponieren. Diese Zusammenhänge hat Deleuze nicht im Rahmen einer Kulturtheorie oder Kulturphilosophie entwickelt. Er steht dem Diktum Luhmanns nahe, dass der Begriff der Kultur einer der schlimmsten Begriffe ist, die je gebildet worden sind. Gleichwohl liefert er Ansätze zu einem (veränderten) Kulturbegriff, sowohl in analytischer Absicht zur Kritik bestehender Verhältnisse als auch im Sinne eines Begreifens minoritärer Lebensformen, die sich dem Primat der einen weltgeschichtlichen Menschheitskultur entziehen. Seit den 70er Jahren verlässt Deleuze mehr und mehr die „Einbahnstraße“ der akademischen Philosophie und wendet sich – im guten alten Sinne des Wortes: popularphilosophisch – die lebensweltliche Praxis strukturierenden (allgemein als „kulturell“ bezeichneten) Phänomenen zu: im Anti-Ödipus (1972) der „Befreiung“ des Begehrens von seinen Verunstaltungen durch „bürgerliche“ Denk- und Handlungsgewohnheiten; in Tausend Plateaus (1980) den Kontrollmechanismen staatlicher Institutionen, z. B. bildungspolitischer Maßnahmen, sowie alternativen, dezentralisierten Organisationsformen in den unterschiedlichsten Bereichen; in den Büchern über das Kino (1983, 1985) der Entwicklung künstlerischer Ausdrucksformen in der Moderne.

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© 2011 VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH

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Rölli, M. (2011). Gilles Deleuze: Kultur und Gegenkultur. In: Moebius, S., Quadflieg, D. (eds) Kultur. Theorien der Gegenwart. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-92056-6_3

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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