Zusammenfassung
Eine Sonderentwicklung des deutschen Liberalismus war jene eigenartige Symbiose zwischen einem nationalen und einem sozialen Liberalismus. Friedrich Naumann war gleichsam die Inkarnation dieser Synthese. Als Pfarrer und Vereinsgeistlicher der Inneren Mission hatte er früh um Verständnis für die soziale Lage der Arbeiterschaft geworben. 1890 ist ein Evangelisch-Sozialer Kongress ins Leben gerufen worden. Naumann wurde zum Wortführer der jungen Generation, die für eine umfassende Erneuerung des Protestantismus kämpfte – gegen den heftigen Widerstand der Kirchenleitungen. Unter dem Einfluss von Rudolf Sohms und Max Weber hat Naumann seinen christlichen Sozialismus zu einem nationalen Sozialismus fortentwickelt. Die Entwicklung Naumanns von einem „Reich-Gottes-Glauben“ als Fundament einer gegenwartsbezogenen Sozialethik zur Machtstaatpolitik ist sogar als „Kapitulation vor Max Weber“ gedeutet worden (Lindt 1973: 35f). Ein enger Mitarbeiter Naumanns, der spätere erste Bundespräsident Theodor Heuss, der eine repräsentative Biographie schrieb (1949: 100), hat zwar geleugnet, dass Weber ihn auf den Gedanken des nationalen Machtstaats gebracht hat. Er hat jedoch mit seiner Freiburger Antrittsrede über „Nationalstaat und Volkswirtschaft“ Einfluss auf Naumann genommen und in ihm den Gedanken geweckt, dass die glühende Gesinnungsethik von einer rationalen Verantwortungsethik gezügelt werden müsse. Heuss beschrieb diese Beziehung zwischen Weber und Naumann als eine Freundschaft, in der Weber der gebende Teil war und dank seiner überlegenen wissenschaftlichen Bildung einflussreich blieb. Aber während Weber zum Ungestüm und grimmigem Humor neigte, war Naumann der Ausgeglichene, humorvoll noch in der Resignation.
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von Beyme, K. (2009). Das Zeitalter der Weltkriege. In: Geschichte der politischen Theorien in Deutschland 1300–2000. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91986-7_5
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