Zusammenfassung
Dass es in Adornos Schriften so wenig ‘menschelt’, ist diesem immer wieder, wenn nicht als unverbesserlicher Kulturpessimismus oder Negativismus, so wenigstens als performativer Widerspruch einer ihrer eigenen Intention zuwiderlaufenden Vernunftkritik ausgelegt worden. Tatsächlich galt Adornos, trauriger Wissenschaft’ das Gerede vom Menschen zuvörderst als Index seiner gesellschaftlichen Entmenschlichung, als Ausdruck jener Komplementärideologie, mittels derer die historisch Erniedrigten sich über die Erkenntnis des Wesentlichen nur allzu gern täuschen: darüber, dass sie allein als variables Kapital noch in Betracht kommen, ihnen im Großen und („unwahren“) Ganzen die Rolle der Personifikation ökonomischer Funktionen beschieden ist. Zu behaupten, das Individuum werde „mit Haut und Haaren liquidiert“, wäre daher, so Adorno, „noch zu optimistisch gedacht“ (Adorno 1951: 153). Das Unheil geschehe nicht als „radikale Auslöschung des Gewesenen, sondern indem das geschichtlich Verurteilte tot, neutralisiert, ohnmächtig mitgeschleppt“ (ebd.: 154) werde. „Mitten unter den standardisierten und verwalteten Menscheneinheiten west das Individuum fort. Es steht sogar unter Schutz und gewinnt Monopolwert. Aber es ist in Wahrheit bloß noch die Funktion seiner eigenen Einzigkeit, ein Ausstellungsstück wie die Mißgeburten, welche einstmals von Kindern bestaunt und belacht wurden.“ (ebd.: 154) Noch das Funktionslose, also das, was am Einzelnen über die ihm zugewiesene Aufgabe im Prozess einer zum Selbstzweck fetischisierten Mehrwertproduktion hinausrage, werde zur „Funktion zweiten Grades.„ (Adorno 1962: 222) Freiheit tritt – paradox – in den Dienst von Unfreiheit
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Meisenheimer, J. (2009). Bald frei, bald unfrei. Dialektik in Adornos kritischer Theorie des Individuums. In: Müller, S. (eds) Probleme der Dialektik heute. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91880-8_2
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