Auszug
Der Terrorismus im russischen Zarenreich ist eng mit der Geschichte der konspirativen Vereinigung „Narodnaya Wolya“, russisch für „Volkswille“ oder auch „Volksfreiheit“, verbunden. Der von einer Einzelattentäterin verübte Mordversuch auf den St. Petersburger Stadtkommandanten Trepov Anfang 1878 war die Initialzündung für die Formierung der terroristischen Vereinigung. Nach etlichen fehlgeschlagenen Versuchen gelang der Gruppe am 1. März 1881 ihr größter Erfolg,1 das tödliche Attentat auf den Zaren Alexander II. in St. Petersburg. Dieses bildete paradoxerweise zugleich Höhepunkt und Ende der „Narodnaya Wolya“.
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Literatur
Nach gregorianischem Kalender, der außerhalb Russlands üblich ist, war das Datum des Attentats der 13. März 1881. Hier werden die Daten nach julianischem Kalender angegeben.
Vgl. Waldmann, Peter, Terrorismus: Provokation der Macht, Hamburg 2005, S. 58.
Dazu zählten unter anderem der Literaturkritiker Vissarion Belinskij (1811-1848), der spätere Vertreter der Slawophilen Konstantin Aksakov (1817-1860), der Wegbereiter des russischen Liberalismus und Historiker Timofej Granovskij (1813-1855), der Publizist Michail Katkov (1818-1887) und Michail Bakunin (1814-1876), der sich noch zu Lebzeiten zum schillerndsten Denker des Anarchismus entwickelte.
Mit dem heutigen Sprachgebrauch des Wortes Populismus hat es jedoch wenig zu tun. Auch im russischen wird unter dem Begriff „Narodničestvo“ Unterschiedliches verstanden. Die Bezeichnung Populismus trifft insofern den Kern der Bewegung, als diese von unterschiedlichen ideologischen Strömungen, wie etwa den Nihilisten und Anarchisten, beeinflusst war, und sich als einendes Prinzip die Massenmobilisierung zum Ziel gesetzt hatte. Siehe Ford, Franklin L., Der politische Mord: von der Antike bis zur Gegenwart, Hamburg 1990, S. 273.
Siehe Borcke, Astrid von, Gewalt und Terror im revolutionären Narodničestvo. Die Partei Narodnaja volja (1879-1883): Zur Entstehung und Typologie des politischen Terrors im Russland des 19. Jahrhunderts, in: Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (Hrsg.), Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, 1979-85, Köln 1979, S. 8.
Auch die Schriften Bakunins, die dazu aufriefen, im Volk für den revolutionären Umsturz zu werben, waren Quellen der Inspiration und Motivation für die russischen Aktivisten. Siehe hierzu ausführlicher den Beitrag von Marcus Gerngroß in diesem Band.
Unter dem Slogan „Propaganda der Tat“ warben vor allem anarchistische Theoretiker wie etwa Pjotr Kropotkin für Gewalttaten. Diese sollten den Staat treffen, um so das Volk für den revolutionären Umsturz zu mobilisieren. Siehe hierzu den Beitrag von Marcus Gerngroß in diesem Band.
Siehe hierzu ausführlicher Bergman, Jay/ Zasulich, Vera, The Shooting of Trepov and the Growth of Political Terrorism in Russia, 1878-1881, in: Rapoport, David C. (Hrsg.), Terrorism: Critical Concepts in Political Science, Vol. I, The First or Anarchist Wave, London 2005, S. 215–236.
Vgl. Borcke, Gewalt und Terror im revolutionären Narodničestvo, aaO. (FN 5), S. 10.
Am 24. Mai 1878 wurde der Kiewer Gendarmeriehauptmann Baron Heyking ermordet. Am 4. August 1878 wurde der Chef der Staatspolizei, General Mezenzow, aus Rache für den zum Tode verurteilten Demonstrationsorganisator Kowalskij, auf offener Straße erstochen. Am 9. Februar 1979 wurde der Gouverneur von Charkow, Fürst Kropotkin, der Vetter des Anarchisten Pjotr Kropotkins, erschossen. Siehe hierzu ausführlicher Troyat, Henri, Zar Alexander II., Frankfurt a.M. 1991, S. 178-180.
Zitiert nach ebd., S. 181.
Vgl. ebd., S. 182-183.
Figner, Wera, Das Attentat auf den Zaren Alexander II., Berlin 1981, S. 25.
Borcke, Gewalt und Terror im revolutionären Narodničestvo, aaO. (FN 5), S. 10.
Vgl. Troyat, Zar Alexander II., aaO. (FN 10), S. 184.
Borcke, Gewalt und Terror im revolutionären Narodničestvo, aaO. (FN 5), S. 14.
Figner, Das Attentat auf den Zaren Alexander II., aaO. (FN 13), S. 14.
Borcke, Gewalt und Terror im revolutionären Narodničestvo, aaO. (FN 5), S. 13.
Figner, Das Attentat auf den Zaren Alexander II., aaO. (FN 13), S. 16.
Vgl. Ford, Der politische Mord, aaO. (FN 4), S. 277.
Morosow, ein führendes Mitglied der „Narodnaya Wolya“, zitiert nach Borcke, Gewalt und Terror im revolutionären Narodničestvo, aaO. (FN 5), S. 19.
Wortman, Richard, The Crisis of Russian Populism, Cambridge 1967, S. 83.
Vgl. Naimark, Norman M., Terrorists and Social Democrats, The Russian Revolutionary Movement Under Alexander III., Harvard 1983, S. 13.
Vgl. Heinlein, Markus, Klassischer Anarchismus und Erziehung: Libertäre Pädagogik bei William Godwin, Michael Bakunin und Peter Kropotkin, Würzburg 1998, S. 260.
Siehe hierzu den Beitrag von Marcus Gerngroß in diesem Band.
Vgl. Waldmann, Terrorismus: Provokation der Macht, aaO, (FN 2), S. 58.
Vgl. Solms, Friedhelm, Ich will nicht Ich sein; ich will Wir sein: Die Geschichte des ersten Berufsrevolutionärs Michail Alexandrowitsch Bakunin, in: Hans Diefenbacher (Hrsg.), Zur Geschichte und Idee der Herrschaftsfreien Gesellschaft, Darmstadt 1996, S. 105–128, hier: S. 123. Siehe dazu außerdem den Beitrag von Marcus Gerngroß in diesem Band.
Siehe Waldmann, Terrorismus: Provokation der Macht, aaO. (FN 2), S. 58–59.
Siehe Laqueur, Walter, Terrorismus: die globale Herausforderung, Frankfurt a. M. 1987, S. 46.
Vgl. Borcke, Gewalt und Terror im revolutionären Narodničestvo, aaO. (FN 5), S. 22.
Laqueur, Terrorismus: die globale Herausforderung, aaO. (FN 29), S. 48.
Siehe ebd., S. 48-49.
Zitiert nach Borcke, Astrid von, Die Ursprünge des Bolschewismus. Die jakobinische Tradition in Russland und die Theorie der revolutionären Diktatur, München 1977, S. 409.
Waldmann, Terrorismus: Provokation der Macht, aaO, (FN 2), S. 59.
Siehe Laqueur, Terrorismus: die globale Herausforderung, aaO, (FN 29), S. 121.
Vgl. ebd., S. 49.
Figner, Das Attentat auf den Zaren Alexander II., aaO. (FN 13), S. 27.
Ebd., S. 28.
Siehe hierzu Laqueur, Terrorismus: die globale Herausforderung, aaO. (FN 29), S. 101.
Für eine ausführliche Analyse der Rolle der Frauen innerhalb des „Narodničestvo“ siehe Maxwell, Margaret, Narodniki Women: Russian Women Who Sacrificed Themselves for the Dream of Freedom, New York 1990.
Troyat, Zar Alexander II., aaO. (FN 10), S. 182.
Laqueur, Terrorismus: die globale Herausforderung, aaO. (FN 29), S. 107.
Hoffman, Bruce, Terrorismus-der unerklärte Krieg, Bonn 2002, S. 19.
Ebd.
So eiferten dem russischen Vorbild vor allem anarchistisch motivierte Einzeltäter in Westeuropa und den USA nach. Beispielhaft zu nennen sind hier die Attentate auf den französischen Präsidenten Sadi Carnot 1894 und den amerikanischen Präsidenten William McKinley 1901. Siehe hierzu auch den Beitrag von Marcus Gerngroß in diesem Band
Siehe Laqueur, Terrorismus: die globale Herausforderung, aaO. (FN 29), S. 134.
Eine detaillierte Schilderung der Attentate und der damit verbundenen Vorbereitungen liefert Wera Figner in ihren Memoiren. Siehe Figner, Das Attentat auf den Zaren Alexander II., aaO. (FN 13), S. 29–46.
Siehe hierzu Troyat, Zar Alexander II., aaO. (FN 10), S. 185–186.
Siehe ebd., S. 189.
Zitiert nach ebd., S. 190.
Insgesamt wurden rund 20 Versuche unternommen den Zaren zu töten. Die letzten sieben davon werden der „Narodnaya Wolya“ zugeschrieben. Siehe hierzu Franklin L. Ford, Der politische Mord, aaO. (FN 4), S. 277.
Für eine ausführliche Chronik der Ereignisse am 1. März 1881 aus Sicht der Terroristen siehe Figner, Das Attentat auf den Zaren Alexander II., aaO. (FN 13), S. 56–66.
Vgl. Ford, Der politische Mord, aaO. (FN 4), S. 278.
Zitiert nach Enzensberger, Hans Magnus, Vorbericht, in: Enzensberger, Hans Magnus (Hrsg.), Boris Savinko, Erinnerungen eines Terroristen, Nördlingen 1985, S. VII–XLV, hier S. XXXIV.
Vgl. ebd., S. XXXV.
Figner, Das Attentat auf den Zaren Alexander II., aaO. (FN 13), S. 66.
Zitiert nach Schröder, Siegfried, Bomben, Blut und Bitterkeit, Berlin 1990, S. 116.
Vgl. Schröder, Bomben, Blut und Bitterkeit, aaO. (FN 57), S. 116.
Siehe dazu etwa die Glorifizierung der Sofja Perowskaya in: Figner, Das Attentat auf den Zaren Alexander II., aaO. (FN 13), S. 66–71.
So wurde beispielsweise die wichtige Integrationsfigur der Organisation, Alexander Michailow, bereits im Oktober 1880 verhaftet und im Januar 1881 wurden die Terroristen Kolodkewitsch und Baranikow gefasst. Siehe Figner, Das Attentat auf den Zaren Alexander II., aaO. (FN 13), S. 42 und 53.
Vgl. ebd., S. 47.
Hoffman, Terrorismus-der unerklärte Krieg, aaO. (FN 43), S. 21.
Zitiert nach Schröder, Bomben, Blut und Bitterkeit, aaO. (FN 57), S. 120.
Figner, Das Attentat auf den Zaren Alexander II., aaO. (FN 13), S. 56.
Vgl. Borcke, Gewalt und Terror im revolutionären Narodničestvo, aaO. (FN 5), S. 18.
Vgl. Enzensberger, Vorbericht, aaO. (FN 54), S. XXXVII.
Vgl. Laqueur, Terrorismus: die globale Herausforderung, aaO. (FN 29), S. 53.
Im Jahr 1902 stieß die Ermordung des russischen Innenministers Sipjagin eine erneute Welle an Attentaten an. Die „Sozialrevolutionäre Partei“ sprach sich für systematische terroristische Aktionen aus. Diese wurden als probates Mittel gelobt, um einen Massenaufstand einzuläuten. Siehe dazu Ebd., S. 54-56.
Waldmann, Terrorismus: Provokation der Macht, aaO. (FN 2), S. 58.
Die deutschen terroristischen Organisationen, die aus der Studentenbewegung der 1968er hervorgingen, seien hierfür exemplarisch genannt. Siehe hierfür die Beiträge von Alexander Straßner und Lutz Korndörfer in diesem Band.
Vgl. Figner, Das Attentat auf den Zaren Alexander II., aaO. (FN 13), S.54–55.
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Gerngroß, M. (2008). Terrorismus im Zarenreich mit Vorbildfunktion: Die „Narodnaya Wolya“. In: Straßner, A. (eds) Sozialrevolutionärer Terrorismus. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91776-4_11
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