Pierre Bourdieu und seine Mitarbeiter haben ihre Studien zum „Elend der Welt“ Anfang der neunzehnhundertneunziger Jahre abgeschlossen – ihre ebenso pointierten wie pointillistischen Porträts beschreiben eine Welt, die es auch in den Banlieues so nicht mehr gibt – die Sonden dieser Sozialforschung waren offenbar nicht fein genug, die von einer radikalislamistischen Ideologie mit verursachte Formation einer Immigrantenjugend zu prognostizieren, die ihre Wut auf die Verhältnisse in den Jahren 2001–2004 in Rassismus, Brandanschlägen und Schändung von nicht muslimischen Gebetshäusern äußerte.1 Eine Ursache dieses prognostischen Versagens dürfte nicht nur in der Vernachlässigung der Religion liegen, sondern auch in der grundbegrifflichen Vernachlässigung der emotionalen Basis sozialen Handelns – und das dem Umstand zum Trotz, dass paradoxerweise das Ressentiment in Bourdieus eigener Weltsicht eine erhebliche Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund sind auch gegenwärtige Forderungen zu betrachten, die Studien zum „Elend der Welt“ für Deutschland zu replizieren (vgl. Schultheis/Schulz 2005). Ich will im Folgenden die These belegen, dass es diese „Replikationsstudien“ für Deutschland längst gibt – allerdings mit einer Stoßrichtung und einer Perspektive, die jener Bourdieus genau entgegengesetzt ist. Dass dem derzeit wenig entgegenzusetzen ist, liegt daran, dass die Bourdieusche Perspektive keine brauchbaren pädagogischen Implikationen hat, was wiederum an einem grundbegrifflichen Konstruktionsfehler, der Vernachlässigung der Emotionen liegt.
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Literatur
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Brumlik, M. (2009). Charakter, Habitus und Emotion oder die Möglichkeit von Erziehung? Zu einer Leerstelle im Werk Pierre Bourdieus. In: Friebertshäuser, B., Rieger-Ladich, M., Wigger, L. (eds) Reflexive Erziehungswissenschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91645-3_8
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