Solidarität bei Durkheim: Gerechtigkeit und Staatsbürgermoral

Emile Durkheims Perspektive auf das Problem gesellschaftlicher Integration war konstitutiv für eine spezifisch soziologische Position und entwickelte sich weitgehend in Abgrenzung zu ökonomischen Modellen sozialer Ordnung. Das obige Zitat, das ‚höhere‘ über bloß individuelle, gemeinschaftsschädigende Interessen stellt, markiert die noch auszuführende Zurückweisung eines individualistischen Paradigmas. Durkheim lehnte grundsätzlich die Möglichkeit einer aus individuellen Interessen spontan entstehenden Vergesellschaftung ab und vertrat eine anti-individualistische Haltung, die als ‚soziologistisch‘ kritisiert wurde. Im Kontext der Genese einer eigenständig soziologischen Position spielte der Solidaritätsbegriff eine zentrale Rolle, da Durkheim ihn in seiner Auseinandersetzung mit der politischen Ökonomie und deren Sicht gesellschaftlicher Integration verwendete. Durkheims Denken über sozialen Zusammenhalt hat außerdem die zunehmende Differenzierung der um ihn entstehenden Industriegesellschaft und ihre Folgen für die soziale Integration verarbeitet. Zwar werden seine Konzepte über das ‚soziale Band‘ oft als holistisch bezeichnet, da etwa eine kollektive Moral genau jene Differenzierung zurücknimmt. Aber bei der folgenden genaueren Betrachtung seiner Konzepte wird deutlich, dass differenzierte Sphären ein Bezugspunkt seiner Erklärung der Bindungswirkung von Werten bleiben.