Zusammenfassung
Unter Karaoke versteht man das amateurhafte, mikrofongestützte Singen von populären Songs zu einem vorproduzierten Halb-Playback vor Publikum. Karaoke ist somit abzugrenzen von dem häufig Übungszwecken dienenden Singen zu ‚sing-along‘-Bändern im privaten Bereich. Ebenfalls ist es abzugrenzen von dem Singen in derzeit populären Castingshows wie Deutschland sucht den Superstar, das zwar in den Endausscheidungsrunden auch mikrofongestützt vor Publikum und zu vorproduziertem Halb-Playback erfolgt, jedoch dort in aller Regel professionelle Ansprüche an den Gesang stellt wie treffsichere Intonation, dem jeweiligen populären Musikstil adäquater Stimmklang sowie emotionale Textausdeutung. Ferner wird bei den so genannten Motto-Shows ein zu dem jeweiligen Song passendes Outfit und Styling erwartet sowie gegebenenfalls eine auf den Song abgestimmte Tanz-oder Bewegungschoreographie (vgl. Appen 2005). Der entscheidende Unterschied zum Karaoke ist jedoch als konstitutiver Bestandteil der Castingshows der Wettbewerb zwischen singenden Kandidaten vor einer Expertenjury, einem Saal- und einem Fernsehpublikum, die sich nicht selbst dem Wettbewerb stellen. Für Karaoke ist dagegen gerade der Wechsel zwischen der Rolle als Sänger und Publikumsmitglied kennzeichnend, was im fortlaufenden Text noch weiter zu erläutern sein wird.
Dies ist die erheblich erweiterte und überarbeitete Fassung eines Vortrags, gehalten auf der 17. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie am 22. September 2001 in Hildesheim. Eingeflossen sind auch Teilergebnisse einer Diplomarbeit (Heipcke 2002).
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Literatur
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Bullerjahn, C., Heipcke, S. (2009). Karaoke, eine Tautologie des Populären. In: Willems, H. (eds) Theatralisierung der Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91442-8_17
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