Auszug
Für die Familienforschung war lange Zeit die Namensgebung Programm. Forschungsgegenstand war primär die Eltern-Kind-Beziehung; Ehen kamen ganz überwiegend nur in Bezug auf die Familie in den Blick (vgl. Schmidt 2002; Nave-Herz/Markefka 1989). Eine Eheforschung konnte sich — besonders ausgeprägt im deutschsprachigen Raum — zu keinem eigenständigen Teilbereich entwickeln (vgl. Nave-Herz 2006; Matthias 2008); entsprechend wurde es auch nicht als notwendig angesehen, von „Ehe- und Familienforschung“ zu sprechen. Ein als grundlegend aufgefasster enger Verweisungszusammenhang von Ehe und Familie hat dazu geführt, dass Ehe primär aus dem Blickwinkel der Familie thematisiert wurde. Die Ehe wurde — und wird z. T. auch weiterhin — lediglich als ein kurzer und dadurch auch unbedeutender Vorlauf zu einer als dem „eigentlichen Zweck“ oder „eigentlichen Motiv“ aufgefassten Familienbildung angesehen. Dieser Verweisungszusammenhang war noch in den soziologischen Ehedefinitionen aus den 1980er Jahren ein gängiges Element:
„Ehe ist nach traditioneller und im Zivilrecht vorherrschender Auffassung eine (relativ) dauerhafte und rechtlich legitimierte Lebens- und Sexualgemeinschaft zweier (ehe-)mündiger verschiedengeschlechtlicher Partner, die den Vorsatz haben, die von der Frau geborenen Kinder rechtsverbindlich als die eigenen anzuerkennen“ (Gukenbiehl 1986: 55; Hervorhebung K. L.).
„Mit Ehe bezeichnet man eine durch Sitte oder Gesetz anerkannte, auf Dauer angelegte Form gegengeschlechtlicher sexueller Partnerschaft. Weiterhin ist ein wesentliches Strukturmerkmal aller Ehen, auch der modernen, dass sie über das bloße personale Paarverhältnis auf Gruppenbildung — auf Familie — hinausweist“ (Nave-Herz 1989a: 6; Hervorhebung K. L.). Im englischsprachigen Raum ist es immerhin üblich, diesen Forschungsbereich mit „marriage and family“ zu bezeichnen. Diese Benennungsunterschiede gehen auch mit einer stärkeren Aufmerksamkeit für die Ehe einher. Allerdings ohne dass von einer Gleichrangigkeit gesprochen werden könnte. überhaupt fällt auf, dass die Ehe als Forschungsgegenstand im amerikanischen Raum erst auf dem Umweg wahrgenommener „Probleme“ der Familie „entdeckt“ wurde. Es sind vor allem drei „ehebezogene“ Themenbereiche, die in der amerikanischen Forschung Tradition haben: die Partnerwahl, Ehequalität (bzw. Ehezufriedenheit) und Scheidungen, und alle drei wurden durch die sich ausbreitende „Sorge“ um die wachsende Instabilität von Familien angestoßen. Die Entdeckung der Partnerwahl als Thema war eng mit der Befürchtung verbunden, dass die wachsende Bedeutung des romantischen Ideals bei der Wahl des Ehegatten bzw. der Ehegattin desorganisierend auf Familien wirke. Mit der Ehequalität oder -zufriedenheit wollte man den „Vorraum“ einer möglichen Trennung inspizieren, um einen Beitrag zur Prophylaxe zu leisten. Bei der Ehescheidung dominierten neben der Suche nach sozialdemographischen Merkmalen, die Ehen besonders anfällig machen, vor allem die „Scheidungsfolgen“, und zwar lange Zeit fast ausschließlich hinsichtlich der Konsequenzen für die Kinder. Alle drei Themenkomplexe, die in der deutschsprachigen Familienforschung keine vergleichbare Bedeutung erlangen konnten, begründen zwar eine höhere Aufmerksamkeit für die Ehe im amerikanischen Kontext, zeigen aber zugleich, wie sehr auch diese an eine dominante „Familien-Optik“ gebunden bleibt.
Dieser Verweisungszusammenhang kehrt auch in der strukturtheoretisch angelegten Familiensoziologie von Tilman Allert (1998: 214) wieder: Das Hauptanliegen sei, „die Vielfalt der Handlungsmuster in Paarbeziehungen aus dem dynamischen Potenzial des Dritten“ heraus zu erklären.
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(2009). Ehen als Randthema der Familienforschung. In: Soziologie der Zweierbeziehung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91439-8_2
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