Zusammenfassung
Diskussionen um das Unbekannte als Schattenseite des akzeptierten Wissens in Diskussionen um BSE, die globale Klimaerwärmung, embryonale Stammzellenforschung oder neu auftretende Infektionskrankheiten werden zunehmend als ein Hinweis darauf bewertet, dass das Wissen durch wissenschaftliche Expertise immer häufiger hinter die Bedeutung des Nichtwissens zurücktritt. Der in diesem Zusammenhang gemachte Gebrauch des Terminus Nichtwissen in Diskussionen um die Wissensgesellschaft in den Medien zeigt an, dass das Bewusstsein darüber, dass mit zunehmendem Wissen zwangsläufig auch das Nichtwissen steigt, auch in der Öffentlichkeit angekommen ist. Der Philosoph Jürgen Mittelstraß (Mittelstraß 1996) hat die Metapher der Wissenskugel für das Wachstum des Nichtwissens herangeführt, da jedes gelöste Problem — nicht nur in der Wissenschaft — neue ungelöste Probleme und damit neue Horizonte über das Unbekannte mit sich bringt. Die Wissenskugel-Metapher geht ursprünglich auf den französischen Physiker, Mathematiker und Philosophen Blaise Pascal zurück. Für Pascal war Wissen wie eine Kugel, die in einem Universum des Nichtwissens schwimmt. Wächst das Wissen, wächst damit auch immer das Nichtwissen. Mit dem Wachstum der Wissenskugel vergrößert sich auch die Oberfläche des Wissens und dadurch nehmen die Berührungspunkte mit dem Nichtwissen beständig zu. Es gibt eine pessimistische und eine optimistische Auslegung dieser Metapher. In der pessimistischen Deutungsweise wird das Wissen durch den Radius der Kugel repräsentiert, und demzufolge wächst das Wissen langsamer als das Nichtwissen. Bei Vergrößerung der Kugel wächst also die Oberfläche schneller als der Radius und damit wächst auch das Wissen um das Nichtwissen schneller als das Wissen.
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Groß, M. (2009). Die Wissensgesellschaft und das Geheimnis um das Nichtwissen. In: Rol, C., Papilloud, C. (eds) Soziologie als Möglichkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91437-4_6
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