Zusammenfassung
Hundert Jahre nach dem Erscheinen der „großen Soziologie“ umgibt Simmel weiterhin das Flair des geistreichen Außenseiters im Kanon der soziologischen Klassiker. Es ist eine Sonderstellung, die gar nicht so zu verschmähen ist, wenn man berücksichtigt, welchen Experimentierraum sie den Vertretern der an Simmel inspirierten Soziologie eröffnet. Trotzdem scheint es nach wie vor eine Schwierigkeit zu geben, Simmel in den historisch-theoretischen Entwicklungsgang der Gesellschaftswissenschaft einzuordnen, da sein Ansatz weder an den Durkheims noch an den Webers „ohne weiteres“ anschlussfähig ist. Dies ist umso auffälliger, wenn berücksichtigt wird, dass Simmel sich als Vertreter eines „relativistischen Neukantianismus“1 auf demselben Terrain wie Rickert und Weber bewegte, wie auch unzählige biographische Zusammenhänge nachweisen.2 Seine Ansichten, die soziologische Theoriebildung sowie die Ethik betreffend, lassen ihn trotzdem eher in eine breit angelegte Soziologiegeschichte3 einordnen als in eine theoretisch verdichtete Rekonstruktion ihrer Grundparadigmen wie die von Parsons, Habermas und neuerdings von Schluchter. Dabei geht es nicht darum, Konvergenzen mit anderen Autoren festzustellen, da sich bereits letztere zwei soziologietheoretische Entwürfe an der Vorstellung einer grundlegenden Divergenz zwischen den Klassikern orientieren. Es ist vielmehr Simmels berühmt-berüchtigte „asystematische Vorgehensweise“, die seiner Soziologie den Status einer grand theory verweigert, da sie keine Antwort auf die Grundfragen bereit zu haben scheint, worauf eine soziologische Theorie beispielsweise laut Habermas zu antworten hat.
Oesterreich (Oesterreich 1916: 388 f.; 398—401).
Simmels „Briefe an Heinrich Rickert“ sowie „Briefe an Max und Marianne Weber“, in: Gassen/Landmann (Gassen/Landmann 1958: 90–119; 127–135). Siehe auch Rammstedt (Rammstedt 1994: 140–162).
Käsler (Käsler 1999).
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Literatur
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Fitzi, G. (2009). Simmels Beitrag zur soziologischen Theoriebildung. In: Rol, C., Papilloud, C. (eds) Soziologie als Möglichkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91437-4_2
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