Auszug
Die Gattung Mensch ist, wie im Abschnitt zur „argumentativen Einstimmung“ gezeigt, konstitutiv auf Sozialität verwiesen. Trifft die entwickelte These ihrer geringen biologischen Prädisposition, also grundsätzlicher Offenheit und damit gegebener Formungsnotwendigkeit zu, so muss sich dies in besonderer Weise an den nachwachsenden Generationen zeigen. Diese sind auf das Leben allgemein sowie spezifisch, (nämlich im jeweilig gegebenen sozialen Kontext) genetisch nicht vorbereitet, durchlaufen vielmehr unverzichtbar Prozesse der Sozialwerdung, des Hereinwachsens und zugleich der inneren Formung, die entsprechend als Sozialisation benannt werden.
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Literatur
Vgl. insbesondere zur kulturellen Variabilität anschaulich Wagner (2003).
Im Überblick: Kaufmann 1995, Beck-Gernsheim 1998, Nave-Herz 2004.
Unter dem Aspekt der Institution werden dort vor allem die gesellschaftlichen Funktionen thematisiert, die als „Produktion gemeinsamer Güter“ wie etwa die Bildung von Humanvermögen, die Fürsorge für Kinder, Alte und andere Erwachsenen ohne Erwartungen von Gegenleistungen etc (ebd. 9), angesprochen werden. Von den institutionellen Funktionen zunächst unterschieden werden mit der „Familie als alltäglicher Lebensform“ die privaten, gefühlsbestimmten familialen Beziehungen, um dann in einem zweiten Schritt zu zeigen, wie eng der Zusammenhang zwischen den privaten Aspekten von Familie und der „Produktion von gemeinsamen Gütern“ ist. Sinn der Unterscheidung ist, dass familienpolitische Maßnahmen sich nicht allein an den institutionellen Funktionen orientieren dürfen, sondern auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen in den Blick nehmen müssen, die notwendig sind, damit Individuen bereit sind, Verantwortlichkeit auf der Basis personaler und privater Bindungen zu übernehmen, es sich auch bei dieser Bereitschaft um „begrenzte Ressourcen“ handele (Sachverständigenkommission im Auftrag des BMFSFJ 2005, 10). Die Verknüpfung institutioneller Funktionen mit den höchst privaten Gefühlswelten erzeugt aktuell auf unterschiedlichen Ebenen erhebliche Probleme, da sich private Gefühle bei den selben Personen über die biografische Zeit verändern, durch positive und negative Erfahrungen geprägt werden. Anders formuliert: Wenn Gefühle sich verändern, verändern sich die Beziehungen in der Familie (und umgekehrt). Dies drückt sich vor dem Hintergrund pluralisierter Lebensmodelle nicht zuletzt in den Schwierigkeiten aus, Paarbeziehung(en) und Elternschaft(en) in einer alltagsfesten und dauerhaften sozialen Form als Familie zu integrieren (vgl. dazu auch Kap. 10).
Der Anteil gleichgeschlechtlicher Eltern ist statistisch gesehen vergleichsweise gering, nicht zuletzt, weil in Deutschland gleichgeschlechtlichen Paaren eine Adoption von Kindern verwehrt ist. Nach Daten des Mikrozensus wurden „2005 (...) im früheren Bundesgebiet vier von fünf (81%) der 12,0 Millionen minderjährigen Kindern bei einem Ehepaar groß. Jedes siebte Kind (14%) wuchs bei einem allein erziehenden Elternteil auf und jedes 20. Kind (5%) lebte in einer — nichtehelichen oder gleichgeschlechtlichen — Lebensgemeinschaft. In den neuen Ländern wuchsen lediglich rund drei von fünf (62%) der 2,4 Millionen minderjährigen Kinder bei Ehepaaren auf; gut jedes fünfte Kind (22%) wuchs bei seiner allein erziehenden Mutter oder seinem allein erziehenden Vater heran; rund jedes sechste Kind (16%) bei einer Lebensgemeinschaft.“ (Statistisches Bundesamt 2006b, 50, Punkt 4.2: Kinder).
Dafür ist das Beispiel von „Baby x“ klassisch geworden; es beruht auf einem Experiment, in dem Personen ein Video mit einem schreienden Säugling gezeigt wird. Einmal wird den Personen gesagt, es handele sich um ein Mädchen, ein anderes Mal, es handele sich um einen Jungen (Literatur in Bilden 1991, Trautner 2006).
So kann man schon bei Hedwig Dohm (1874) nachlesen, dass sie sehr nachdrücklich gegen eine „Versämtlichung“ der Frauen anschrieb und in der „Versämtlichung“ einen zentralen Machtmechanismus identifizierte. Das sind konstruktivistische Argumente, ohne dass sich die Autorin selber so verortete bzw. verorten konnte.
Vgl. dazu die entsprechende phänomenologische Diskussion insbes. seit Merleau-Ponty, für den vorreflexive Wahrnehmung ein leiblicher Akt war, in dem „kognitives Erkennen und Empfinden eine Einheit bilden“ (Gugutzer 2002, 80). Vorreflexive Wahrnehmung ist allerdings nicht als „unmittelbar gegebene“ misszuverstehen, wie dies gerade im Hinblick auf „den“ Leib, „das“ Geschlecht oder „die“ Sexualität vielfach anzuklingen scheint. So gesehen sind viele Grundlagentheoretiker der Soziologie, geht es um diese Bereiche, oftmals nicht auf der Höhe ihrer eigenen Theorie, wenn Sie etwa von einer biologisch unmittelbaren und einer sozial geformten Sexualität sprechen. Die erste kann es aus den oben entwickelten Gründen und empirisch belegbar nicht geben: Sowohl die Wilden Kinder wie experimentell „hospitalisierte“ Rhesusaffen (Spitz 1976) zeigen keinerlei sexuelles Verhalten, weil, so könnten wir sagen, sie an keinem sozial kommunikativen Strukturierungsraum auch für diesen Bereich ihres Lebens teilhatten.
Diese maßgeblich von N. Chodorow (1985) geprägte und viel rezipierte Denkfigur stellt genau betrachtet eine sozial gefilterte Biologisierung dar. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass sich der Kreislauf der Geschlechtersozialisation ad infinitum perpetuiert, zumindest solange fortbestehen wird, wie Frauen eben in erster Linie für die Kinderversorgung zuständig sind, Männer dagegen die Außenwelt repräsentieren und beides den Kern ihrer Persönlichkeit bildet.
Goffman konnte 1976 die mittelschichttypische Kleinfamilie mit einem Geschwisterpaar unterschiedlichen Geschlechts noch als paradigmatisches Beispiel für die Wirkungsweise dessen einführen, was er als „institutionelle Reflexivität“ bezeichnete: „Die häusliche Erziehung der beiden Geschlechter wird sich unterscheiden; angefangen damit, dass das Mädchen auf helfende, häusliche Aufgaben und der Junge auf eher breiter angelegte wettbewerbsorientierte Aufgaben ausgerichtet wird. Dieser Unterschied der Ausrichtung wird als eine grundsätzliche Eigenschaft der Kinder angesehen, die sich in vielen, als bedeutungsvoll empfundenen Bereichen bemerkbar macht. Auf diese Weise wird es also von Anfang an zwei Prinzipien geben, in deren Namen Ansprüche erhoben und mittels Zuteilungen gewährt werden. Eines davon ist die Gleichheit der Geschwister und darüber hinaus die aller zugehörigen Familienmitglieder — das Motiv der Gleichbehandlung beim Geben und Nehmen (...) Das andere Prinzip ist die Bewertung gemäß des Geschlechts, wenn etwa dem männlichen Kind, „weil es ein Junge ist“ beim Essen die größere Portion und dem weiblichen, „weil es ein Mädchen ist“, das weichere der beiden Betten zugeteilt wird (...)“ (Goffman 1994, 129f). Goffman betont, dass diese Differenzierung quer zu den Unterschieden in der Schichtzugehörigkeit, der ethnischen Herkunft und der Verfügbarkeit ökonomischer Mittel verläuft: „Wie hoch der soziale Status einer Familie auch immer sein mag — ihre Töchter können lernen, dass sie anders als die Söhne und ihnen ein wenig untergeordnet sind; und wie niedrig der soziale Status einer Familie auch immer sein mag — ihre Söhne können lernen, dass sie anders als die Töchter und ihnen ein wenig übergeordnet sind. (....) jedes Geschlecht wird zum übungspartner des anderen, ein mitten ins Haus gestelltes „Anschauungsmittel““ (1994, 130f.). Das ist heute nicht mehr in dieser klaren Ausprägung der Fall, aber auch dann, wenn in den Familien die Verpflichtung der Töchter auf Mithilfe im Haushalt offenbar deutlich zurückgegangen ist, so sind sie etwa im Kontext der Ernährungsversorgung doch noch deutlich stärker beteiligt als die Söhne. (Sachverständigenkommission im Auftrag des BMFSFJ 2005, 378ff).
In der gesamten Spielzeugindustrie ist der Mechanismus der Geschlechtertrennung sehr stark ausgeprägt. Geht man in ein Spielzeugwarengeschäft und fragt nach einem Geschenk für ein eineinhalbjähriges Kind, so erfolgt sofort die Frage: Junge oder Mädchen? Spielzeug ist ein jedoch eigenes Kapitel, dem wir hier nicht nachgehen, vgl. dazu etwa Hagemann-White 1984.
Dabei fanden die untersuchten Kurse in den spätern Nachmittagsstunden statt, also zu einer Zeit, die im Prinzip auch dem berufstätigen Elternteil eine Teilnahme am E-K-T ermöglichen könnte (ebd. 91).
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(2008). Frühe Jahre, erste Schritte. In: Geschlechterdifferenzierungen in lebenszeitlicher Perspektive. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91177-9_3
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