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Auszug

Mit den Adjektiven formell, nonformell und informell wird in Bezug auf Lernen und Bildung terminologisch zwischen unterschiedlichen Lernorten und Lernmodalitäten unterschieden.39 Diese terminologische Unterscheidung war zunächst — infolge des sogenannten „PISA-Schocks“ (vgl. Otto/Coelen 2004: 7) — Ausdruck der deutschen Bemühungen, sich dem internationalen Test- und Vergleichsdiskurs anzuschließen.40 Mit der terminologischen Unterscheidung verband sich die Ansicht, sich institutionenübergreifend über die verschiedenen Bedingungen von Lernen und Bildung zu verständigen und den damit verbundenen Veränderungen insgesamt mehr Aufmerksamkeit entgegen zu bringen. Flankiert wurde diese Unterscheidung durch die kritischen Diskussionen um die Engführung des Bildungsbegriffs, der Lernen und Bildung für die Phase des Aufwachsens primär mit Schule verband (vgl. Thiersch 2004).41

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Literatur

  1. Terminologien bilden für Theorie und Praxis, für die Berufsausbildung und für die fächerübergreifende Kommunikation „in allen Fachgebieten die Grundlage der schriftlichen und mündlichen Fachkommunikation“ (Arntz/ Picht 1989: 6). Im Folgenden und wenn sich die Ausführungen auf die Unterscheidung insgesamt beziehen, wird nur noch die Bezeichnung terminologische Unterscheidung statt der Auflistung der Adjektive formell, nonformell und informell sowie der Substantive Formalität, Nonformalität und Informalität verwendet. An dieser Stelle sei auch darauf verwiese, dass die Schreibweise der Begriffe formell, nonformell und informell, besonders jedoch des Begriffs nonformell, variiert. Im Folgenden wird auf die Verwendung eines Bindestrichs zwischen non und formell verzichtet, weil er in der terminologischen Unterscheidung einen eigenständigen Bereich bezeichnet. Ausgenommen davon sind die Ausführungen, die sich explizit mit der Begriffssemantik auseinandersetzen (s. auch Fußnote 1 dieser Arbeit).

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  2. Hier hat sich die Unterscheidung zwischen informell, nonformell und formell bereits durchgesetzt (vgl. bspw. Böllert 2004; Overwien 2001). In der Thematisierung von formellem, nonformellem und informellem Lernen in der Phase des Aufwachsens wird jedoch ausgeblendet, dass es hier insgesamt um Lernen als employability und um das Lernen Erwachsener geht (vgl. Overwien 2001, 2004, 2005; Kraft 2002).

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  3. Die Kritik an der Engführung ist nicht neu. So wies zum Beispiel Ivan Illich ([1972] 1995) da rauf hin, dass „[d]ie meisten Menschen... den größten Teil ihres Wissens außerhalb der Schule [erwerben]“ (Illich 1995: 31). Heinz-Jürgen Stolz (2006) bezeichnet die Tatsache „Bildung sei mehr als Schule und Unterricht“ sogar als ein „unumstrittene[s] Diktum“ (ebd.: 118).

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  4. Was zumeist in den aktuellen Diskussionen ausgeblendet bleibt, ist die Beteiligung der (sozial-) wissenschaftlichen Pädagogik, die die mehr oder weniger einseitige Auslegung des Bildungsbegriffs mit vorangetrieben hat. Im Zuge der Etablierung der Erziehungswissenschaft wurde seit den 1960er Jahren über die Verwendung eines allgemeinen Systembegriffs ein Gesamtbereich von Erziehung und Bildung geschaffen, der unter dem Einfluss des Bildungsplans (1979) stand und „ein über die Schule hinausreichendes, Vorschule und Weiterbildung mit einschließendes, umfassendes (bundes-)deutsches Gesamtbildungssystem“ (Kade 1997: 30) begründete. Die hier herausgearbeiteten Ordnungskonzepte und die damit verbundene Favorisierung pädagogischer Institutionen, d.h. Professionen und Organisationen, erschließen den Gesamtbereich durch einen schulorientierten Systembegriff (vgl. ebd.; Böhnisch 1996). Unter dem Stichwort der Entgrenzung wurde seit den 1990er Jahren eine grundsätzliche und theoretisch fundierte Kritik am schulorientierten Begriff des Bildungs-und Erziehungswesens formuliert und für einen „weiten Begriff des Pädagogischen“ plädiert, der auch die „gewachsene Pluralität pädagogischer Realitäten außerhalb der pädagogischen Institutionen und unabhängig von der Steuerung durch pädagogische Professionen berücksichtigt“ (Kade 1997: 31).

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  5. Zu den bisherigen, traditionellen Ansätzen der Bildungsforschung vgl. ausführlich Rudolf Tippelt (2002). Hier findet sich keine Auseinandersetzung in institutionenübergreifender Perspektive. Zudem findet sich im Sachregister auch keine Benennung von formell, nonformell oder informell.

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  6. Heinz-Jürgen Stolz (2006) weist dabei diesen Realitäten die Notwendigkeit einer sozialtheoretischen Fundierung zu.

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  7. Lernen „als Aneignung von sozialer und dinglicher Welt“ (Meder 2002: 9) wird jedoch in dem Moment problematisch, wo nicht mehr auf eine bestimmte Lebensform hin gelernt wird, sondern mit der „Pluralisierung der Selbstverhältnisse eine Kontingenz entsteht, in der Erwartbarkeit von gesellschaftlichem Handeln — kollektiv oder individuell — zu einer unberechenbaren Größe wird“ (ebd.).

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  8. Nicht zuletzt auch, um für den Erhalt und den Ausbau des Bildungswesens an die dafür notwendigen finanziellen Mittel zu kommen (vgl. Haefner 2002: 492).

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  9. Durch die vermehrte Aufmerksamkeit, die dem außerschulischen Lernen und außerschulischer Bildung gewidmet wird, rückt auch der Bereich der freien, marktwirtschaftlich organisierten Freizeit-und Bildungsangebote näher ins Zentrum, in denen signifikant mehr gelernt und gebildet wird (vgl. Spektrum Freizeit 2002, Heft 1). Betont wird hier, „dass in diesem sozialen Raum informellen Lernens mehr Bildung erworben wird als in den formellen Settings, dass diese Lernräume miteinander in Konkurrenz treten und dass in informellen Bildungsräumen signifikanter gelernt wird als in formellen“ (Meder 2002: 3). In diesem Zusammenhang werden dann neue alte pädagogische Konzeptionen reaktiviert, die beiläufiges, selbstständiges, selbstgesteuertes und informelles Lernen jenseits der „traditionellen Paukschule“ (Widersprüche 1999, Heft 73) thematisieren. Insgesamt scheint es, als ob die traditionelle Paukschule von einem zuviel an Lernen befreit werden muss, während in den außerschulischen Bereichen das Lernen wieder eingeführt wird (vgl. Fuchs 2006).

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  10. Thomas Rauschenbach (2006) äußert hier den Verdacht, dass „die Inhalte von Schule immer noch mehr der Industriegesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts folgen, als den Anforderungen und Inhalten einer wissensbasierten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts“ (ebd.: 78). Dem ist aber im Hinblick auf die Veränderungen zu widersprechen, mit denen Schule auf die veränderten (gesellschaftlichen) Bedingungen zum Beispiel mit so genannten Methodentagen oder Projekttagen reagiert hat. Diese gehören zunehmend zum Standardrepertoire schulischer Pädagogik. Der Umstand, dass diese nicht genuiner Bestandteil des Curriculums sind (und das ja auch eher eine Organisation von Inhalten darstellt), verweist auf die Bedingungen schulischer Heterogenität (vgl. Keuffer et al. 1998). Hier suggeriert die sozialpädagogisch geführte Lern-und Bildungsdebatte eine Verallgemeinerbarkeit von Schule, Schulformen und schulischen Angeboten durch heterogene Darstellung.

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  11. Hier stellt sich zwar die Frage, ob es überhaupt Aufgabe der Schule ist, erodierende Herkunftsmilieus oder reduzierte Selbstverständlichkeiten zu kompensieren (Frage nach dem Gegenstand schulischer Pädagogik) oder ob Schule nicht nur Inhalte vermittelt, die es ermöglichen, mit den sich lebensweltlich stellenden Problemen und Bewältigungsanforderungen umzugehen (vgl. Baumert 2002).

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  12. Die hier postulierten reduzierten Selbstverständlichkeiten haben zwei Seiten: Zum einen bedingen sie die aktuelle Auseinandersetzung um Lernen und Bildung in Bezug auf die breite Thematisierung von Bildung als Weltbezug in Bildungsdimensionen, verweisen andererseits aber aus Sicht der Kinder-und Jugendhilfe auch auf die Notwendigkeit, möglichst alle Kinder und Jugendlichen so zu fördern, dass „die Wirkungen öffentlicher Bildung im Schnitt“ (BMFSFJ 2006: 118) erhöht werden können, somit gleichermaßen exponentiell reduzierte Selbstverständlichkeiten (Kinder und Jugendliche aus Multiproblemfamilien) an den Punkt einer einfachen Reduzierung zu führen (z.B. Lernschwierigkeiten). In diesem Zusammenhang kann auch das Vorhaben verstanden werden, „an den beiden Enden, also bei den »Bildungseliten« wie den »bildungsfernen Risikogruppen«, durch zusätzliche Anstrengungen die Wirksamkeit ebenfalls zu erhöhen“ (ebd.).

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  13. Die Vielzahl von Ganztagsschulmodellen kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden, weil sie viel zu unübersichtlich im Hinblick zum Beispiel auf Konzepte, Trägerschaft und Organisationsform sind. Um internationale Vergleichbarkeit bemüht sich u.a. Thomas Coelen (2005), indem er ein Raster vorschlägt, das vier Ebenen hat: Organisation, Personal, Adressaten und theoretische Konzeption. In dieses Raster fließen unterschiedliche Faktoren, wie zum Beispiel Fragen der Trägerschaft, Finanzierung, Bildungsformen, Funktion nach außen, aber auch Ausbildungssituation und Rechtsgrundlagen, mit ein. Damit sei es möglich, ganztägige Bildungssysteme international zu vergleichen (vgl. Otto/Coelen 2005).

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  14. Als Umschreibungen dieser Weltbezüge und Kompetenzen stehen zentrale Begrifflichkeiten, wie sich in etwas bewegen, etwas sinnhaft erschließen, etwas zu deuten, zu verstehen, zu erklären, umzugehen mit etwas, etwas wahrzunehmen, sich handelnd auseinanderzusetzen, teilzuhaben an etwas, mitzuwirken an etwas, mental und emotional umgehen zu können, sich selbst mit seinen Eigenheiten wahrzunehmen etc. (vgl. ebd.).

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  15. Der Schule als gesellschaftlich zuständiger und legitimierter Institution kommt dabei die Aufgabe zu, zur „Bildung der Einzelnen beizutragen, sie zu prüfen und gegebenenfalls zu zertifizieren“ (ebd.: 106).

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  16. Die Erfassung informeller Prozesse bleibt jedoch durch die Grenzen des Privaten problematisch, da hier im Gegensatz zu den öffentlichen Angeboten und Leistungen wie Schule und Jugendhilfe durch fehlende politische Legitimation zur Intervention Grenzen markiert werden (vgl. BMBF 2004). Die Grenzen ermöglichen zwar eine Berichterstattung über „Lernbedingungen, — gelegenheiten und-erfolge in Familien und im Umfeld von Gleichaltrigengruppen“ (ebd.), legitimieren jedoch keine bildungspolitischen Interventionen im „engeren Sinne der traditionellen Zuständigkeiten“ (ebd.: 13). Denkbar und möglich sind „sozial-, familien-und jugendpolitische Interventionen und Maßnahmen“ (ebd.).

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  17. In der Debatte um Lernen und Bildung, die aus dem Kontext Sozialer Arbeit herausgeführt werden, geht es in der Auseinandersetzung um Ort, Form und Prozess immer auch um Bildung. Da aber Lernen und nicht Bildung distinktionstheoretisch als Kern der Auseinandersetzung zu bestimmen ist (vgl. Kap. 7 und 8), wird der Begriff im Folgenden sozusagen ausgeblendet und nur an den Stellen thematisiert, wo ein explizites Verständnis der Autorinnen deutlich wird und der Bildungsbegriff als solches bspw. als Eigenname thematisiert wird.

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  18. Sozialpädagogische Aufgaben gelten traditionell, so Thiersch, als Erziehungsaufgaben wie zum Beispiel Erziehungshilfen, Erziehungsbeistandschaft, Erziehungsberatung. Allgemein bezeichne Erziehung im allgemeinen Sinn aber „eine spezifische Form der Interaktion zwischen Erwachsenen und Heranwachsenden, zwischen Menschen, die über Kompetenzen verfügen und solchen, die darauf angewiesen sind“ (Thiersch 2004: 205).

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  19. Die Bedeutung nicht schulischen Lernens kann mit Hans Thiersch (2004) auf zwei Ebenen diskutiert werden: als eine neuere Verhältnisbestimmung von Schule und Sozialer Arbeit, dass die Fragen von zukünftiger Zusammenarbeit, Funktion von Schnittstellen (z.B. Schulsozialarbeit, Schulberatung), Ganztagsangeboten und spezifischen Angeboten der Kinder-und Jugendhilfe an Schule (Prävention, Gewaltprävention) in die Diskussion mit aufnimmt. Zum anderen wird auch eine Diskussion erforderlich, „um weiter greifende Fragen zur eingeschränkten Bildungsbeteiligung von sozial schwachen und ausgegrenzten Gruppen und — allgemeiner — um Aufgaben einer familienunterstützenden Sozialen Arbeit“ (ebd.: 237) mit in den Blick zu nehmen. Daran anschließen lassen sich Fragen nach Lebenskompetenz und lebenslangem Lernen, die „zum einen auf das Ganze von unterschiedlichen Bildungsprozessen, zum anderen aber um die Unterschiedlichkeit von Bildungszugängen“ (ebd.) im Blick behalten. Die aktuelle Diskussion, die einen weiten Blick auf Lernen und Bildung wirft und die damit verbundene (neue) Positionierung der Sozialen Arbeit, ermögliche es, Abstand zu gewinnen aus „ihrer traditionellen Randständigkeit innerhalb des Bildungswesens... und in öffentlich akzeptierten und geförderten Aufgaben Anerkennung zu finden“ (ebd.: 238). Das Risiko, so Thiersch, liege hier zum einen in dem mächtigen Bildungsbegriff, der im traditionellen Verständnis als scholastische Bildung nachhaltig wirkt und „konzeptuell allgemein auf Offenheit und Gleichwertigkeit von Bildungszugängen“ (ebd.) setzt. Unter diese ordnen sich andere Lern-und Bildungsprozesse fast automatisch unter.

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  20. Ursprung dieser Orientierung könnte es sein, dass sich die Kinder-und Jugendhilfe bislang „als Partner für die sozialen Problemfälle des Schulalltags“ (Otto/ Rauschenbach 2004: 14) verstanden hat und der eigenständigen (Lern-und Bildungs-)Leistungen, trotz aller „»Immer-Schon«-Rhetorik“ (ebd.: 19), nicht selbstbewusst gegenübersteht und vielmehr einer ausdrücklich inhaltlichen Auseinandersetzung zustimmt, „in der sichtbar wird, welche Anteile sie in die notwendige Gesamtorganisation von Bildungsprozessen und Bildungsverläufen von Kindern und Jugendlichen einzubringen in der Lage ist“ (ebd.).

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  21. Dass die Verwendung des Adjektivs auch innerhalb der Sozialpädagogik nicht ganz unumstritten ist, kann mit den Ausführungen von Burkhard Müller, Susanne Schmidt und Marc Schulz (2005) belegt werden. Sie haben sich ausführlich und empirisch quantitativ damit auseinandergesetzt, wie ein Zugang über einen anderen Blick auf Bildung in der Jugendarbeit möglich wird. Sie verstehen ihre Publikation jedoch primär als Anleitung für bessere Wahrnehmung des informellen in praktischen Kontexten und liefern „Basics der Beobachtung“ (ebd.: 221).

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  22. Informelles Lernen als Lernen im privaten Bereich, wie es für die Erwachsenenbildung vorgestellt wurde (vgl. Overwien 2001; Kraft 2002), wird, so könnte vermutet werden, für die Phase des Aufwachsens einfach nur angeglichen, während spezifische Bedingungen wie Autonomie und Mündigkeit als „subjektiver Faktor“ (Homfeld/Schulze-Krüdener 2000: 9) ignoriert werden. Hier wäre zu prüfen, ob nicht insgesamt von einem Paradoxon des informellen Lernens in der Kinder-und Jugendphase auszugehen ist, wenn eben dieser subjektive Faktor, im Versuch die Orte und Welten für Lernen und Bildung von der Lernerin her darzustellen, ausgeblendet wird (vgl. BMFSFJ 2006).

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  23. Dann, so die Autorinnen des Berichtes, sei die Bezeichnung Lernwelt nicht mehr angemessen (vgl. ebd.).

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  24. In diesem Zusammenhang wird die Gleichaltrigengruppe als Verstärker für gelingende oder misslingende Bildungsprozesse angeführt (vgl. ebd.).

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  25. So würden Schülerinnenjobs zum Beispiel Einblicke in die Arbeitswelt ermöglichen (vgl. ebd.).

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  26. Als neu entstehende Lern-und Bildungskultur werden diese Bereiche sogar als Gegenentwurf zur bestehenden pädagogischen Realität verstanden. Die hier konzipierte neue Kultur verweist auf die bildungspolitische und bildungsökonomische Entdeckung von Lernen und Bildung als funktionaler Steuerungsgröße, um die (deutsche) Bildungskrise der Gegenwart zu meistern (vgl. Meyer/ Sander 2005: 3).

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  27. Bemerkenswert ist die Häufigkeit der Rezeption der hier erzielten Ergebnisse, die kaum kritisch hinterfragt werden. Im Rahmen des Faure-Reports wurden Erziehungssysteme miteinander verglichen, die weder über ein standardisiertes Schul-noch Ausbildungssystem verfügen, noch über Schulpflicht. Das von Overwien (2001) in Bezug auf informelles Lernen und informelle Bildung herausgearbeitete Phänomen, das vornehmlich in Entwicklungsländern beobachtbar ist, bezieht sich auch im Faure-Report zumeist auf die Weitergabe von (berufs-)spezifischen Kompetenzen durch Überlieferung, d.h. traditionell durch die Weitergabe von Wissensbeständen durch Erzählung, Zeigen, Anleitung oder learning-by-doing. In der aktuellen Diskussion um Lernen und Bildung wird zumeist auf den Faure-Report verwiesen, weil über ihn begründbar wird, dass nur ein vergleichsweise geringer Teil (30%) von Lernen in institutionalisierten Kontexten erfolgt (vgl. exemplarisch Böllert 2004). Explizit erfolgen die Hinweise auf den Faure-Report zum Beispiel in den konzeptionellen Grundlagen für einen nationalen Bildungsbericht (2004), bei Fromme (2002), Kirchhöfer (2000; 2002) und Böllert (2004) und indirekt zum Beispiel bei Dohmen (2001) und Otto/Rauschenbach (2004), die auf die Schriften der OECD (2001) und Dohmen (2001) verweisen.

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  28. Einen umfassenden Überblick zur Begriffsgeschichte des Lebenslangen Lernens geben Faulstich und Zeuner (1999).

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  29. Die Internationale Kommission ging in ihrem Bildungsbericht von vier Annahmen aus: 1.) die Existenz einer internationalen, solidarischen Gemeinschaft; 2.) Demokratie als „Recht jedes Menschen, sich zu verwirklichen und an der Gestaltung seiner eigenen Zukunft teilzunehmen“ (Faure et al. 1973: 22); 3.) Soziale Pluralität und damit verbunden die „volle Entfaltung des Menschen“ (ebd.); 4.) Gestiegene Anforderungen an den „ganzen Menschen“ (ebd.), der nicht mehr nur über einen festgelegten Zeitraum und abschließend Wissen erwirbt, sondern sich darauf einzustellen hat, „während des ganzen Lebens ein sich ständig entwickelndes Wissen zu erarbeiten und »leben zu lernen«“ (ebd.).

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  30. Im Gegensatz dazu stellt John Holt (1999) die These auf, dass das Spielen als solches bereits eine kindliche Arbeitsform ist (vgl. ebd.: 75).

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  31. Der erste Schritt sei das Spielen und Erproben von Handlungsabläufen als „Vorformen des Arbeitens“, während im zweiten Schritt dann das beiläufige Lernen eingeübt wird, das Kompetenzen fördert, die dann, quasi als Voraussetzung, drittens die Kompetenz zum selbstorganisierten Lernen möglich macht (vgl. Kirchhöfer 2002: 31).

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  32. Diese gelten im Faure-Report als Sache der Einzelnen, wobei die Förderung und Sicherung dieses Weges „die Sache der ganzen Gesellschaft und ihrer erzieherischen, sozialen und wirtschaftlichen Mittel ist“ (ebd.: 43).

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  33. Die Beeinflussung und Veränderung der Erwachsenenbildung durch das Konzept des Lebenslangen Lernens wird bei Faulstich und Zeuner (1999) ausführlich dargestellt.

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  34. In den 1950er Jahren wurde mit dem Begriff Informel eine Kunstbewegung beschrieben, wobei die Uneindeutigkeit des Begriffes Ausdruck dessen war, „was als Nicht-Form bezeichnet wurde“ (Belgin 1997: 32). Bei der Frage nach der Form des Informel galt das informelle als offenes Feld und es wurde versucht die Spannung, die das Nacherleben des Werkes durch den Betrachter auslöst und das Sehen der Dinge selbst mit aufzugreifen (vgl. ebd.: 39). Informel wurde hier definiert als Noch-nicht-Form und überlies es dem Einzelnen, das Werk selbst und nachwirkend zu strukturieren (vgl. ebd.). Diese Möglichkeit und Offenheit zur Strukturierung durch den Einzelnen verweist auf die Parallelen zu den gegenwärtigen Lern-und Bildungsdiskursen, wobei jedoch das Nachwirken zumeist gänzlich unterbelichtet bleibt. Auch scheint es, dass das die Bewegung des Informel, die damals zu einer Revision bisheriger Bildkategorien (Linie, Form, Farbe, Rhythmus) in der Kunst führte, gleichermaßen zu einer Überprüfung traditioneller Vorstellungen und Konzepte von Lernen und Bildung führt. Und während damals das Bild der Künstlerin als brave Künstlerin, die an einer vor sich stehenden Staffelei arbeitete, sich zu einer Akteurin radikaler Veränderung wechselte, die die Freiheit hatte, „die Leinwand auf den Boden zu legen und das Bild von oben zu malen“ (ebd.: 33), wechselt das Bild von einer Schülerin, die die Schulbank drückt zu einer Lebensschülerin, die überall jede Gelegenheit wahrnimmt, zu lernen und sich zu bilden. Die Bewegung des Informel führte zu einem Bruch mit traditionellen Formen und Kompositionen, gleichsam als „Befreiung des Bildes von Regeln der klassischen Malerei“ (ebd.) und — ohne Regeln zu benennen — ging es „um das Verhältnis von Formen und Farben in der Bildebene“ (ebd.: 34). Konkret bedeutete dies, „daß auch mit der tendenziellen Auflösung der Form ihr Begriff mitschwingt, auch wenn sich Form im Bild zu einer Verlagerung der Komposition auf eine andere Sinnebene“ (ebd.: 35) verlagerte. Tayfun Belgin spricht von einer grundlegenden anthropologischen Erfahrung, da bei „allem willkürlichen Entfernen von gesellschaftlichen Konventionen“ der Mensch nicht in der Lage ist, „seine Herkunft in Gänze zu transzendieren und sich ins rein Chaotische zu stürzen. Immer orientiert sich der Mensch an Konstanten, an »Positionszeichen«“ [und im] größtmöglich erscheinenden Chaos... existiert immer eine Ordnung, zu der der Mensch und die Natur zurückfinden“ (ebd.).

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  35. An dieser Stelle wird diese zugrunde gelegt, weil sie die wesentlichen Elemente der Unterscheidung wiedergibt. In vergleichbarer Form findet sich diese aber auch zum Beispiel im Zwölften Kinder-und Jugendbericht (2006), bei Thiersch (2004), Böllert (2004), Otto und Rauschenbach (2004), dem Bundesjugendkuratorium (2002) und der Generaldirektion Bildung und Kultur (2002).

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  36. Thomas Ziehe (2004) weist darauf hin, dass mit dem Begriff Setting eine Gesamtheit von Regeln, Vereinbarungen und Ritualisierungen angesprochen wird, die zum Beispiel in der Psychoanalyse das Arbeitsverhältnis zwischen Therapeutin und Klientin bestimmen. In sozialpädagogischen Kontexten stellt er als Begriff mit Symbolkraft einen dicht strukturierten Erfahrungsbereich dar, der nach außen unter der Bezeichnung Hilfe und nach innen der Einhaltung von Regeln und der (Selbst-)Vergewisserung bzw.-beruhigung dient (vgl. ebd.: 10).

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  37. Im Zwölften Kinder-und Jugendbericht wird davon ausgegangen, dass über die Betonung, dass „selbst wenn jemand etwas ganz zufällig, nebenher und ohne Absicht Dritter gelernt hat, es sich mithin um einen informellen Bildungsprozess handelt, dieser in manchen Fällen im Ergebnis genauso »erfolgreich« sein [kann] wie ein geplantes Seminar, ein gut vorbereiteter Unterricht. Damit wird aber in der Analyse und der Beobachtung der Akzent unweigerlich nicht mehr so sehr auf den Grad der Bestrebungen und der Absicht gelegt, also auf die Soll-Werte, sondern auf die tatsächlich erzielten Leistungen und Effekte, auf die Ist-Werte“ (BMFSFJ 2006: 128).

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  38. Dem Nutzen ungelöster Probleme gehen Dirk Baecker und Andreas Kluge (2003) nach, die sich mit der Frage auseinandersetzen, „mit welchen theoretischen Mitteln man sich der Bewältigung eines alltäglichen Lebens nähern kann, das seine Fortsetzung aus der Summe kleineren und größeren Scheiterns gewinnt“ (ebd.: 6).

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  39. Bernd Overwien (2001, 2004) geht in seinen Arbeiten ausführlich auf die Entwicklung des informellen Lernens in unterschiedlichen Kontexten und internationaler Perspektive ein. An dieser Stelle wird hier nur auf seine Arbeiten verwiesen. Wichtig erscheint jedoch noch der Hinweis, dass seine Arbeiten im Wesentlichen den Bereich der Erwachsenbildung im Blick haben, dafür aber einen breiten Einblick in die Lesarten von formell, nonformell und informell ermöglichen.

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  40. Stolz (2006), der sich dezidiert einer inhaltlichen Positionierung enthält, geht es um eine Öffnung der Debatte in Richtung „einer adäquaten, differenzorientierten und praxisnahen Bildungsdebatte“ (ebd.: 118). Ganztagsschule und Ganztagsbildung, die sich „im Spannungsfeld zwischen diskursiver Schließung und Entgrenzung“ (ebd.) bewegen, legen zum einen das unbestrittene Diktum zugrunde, dass Bildung mehr sei als Schule und Unterricht (vgl. ebd.; BJK 2002). Zum anderen wird hier eine „in sachlicher Hinsicht unpräzise und analytisch falsche Parallelisierung von Bildungsdimension und institutionellen Lernorten, nach dem Muster: formale Bildung = Schule und Unterricht, non-formale Bildung = Vereine und Jugendarbeit, Orte des informellen Lernens = Familie und Peergroups“ (Stolz 2006: 118f.; BJK 2002) eingeführt.

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  41. Nach Stolz (2006) manifestieren sich hier institutionelle Egoismen und Partikularinteressen, wobei unangenehme Grundsatzfragen verdrängt werden. In diesem Zusammenhang wird zum Beispiel der Sinn der Unterscheidung zwischen „Auftrennung pädagogischer Provinzen mitsamt der damit gegebenen professionalistischen Monokulturen“ (ebd.: 119) hinterfragt, die mit einer Trennung von Schulpädagogik (Schule) und Sozialpädagogik (Kinder-und Jugendhilfe) einhergehe.

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  42. Weitere Beispiele werden angeführt, können aber vernachlässigt werden, da deutlich geworden ist, wie diskurstheoretische und unter Einbeziehung des Machtdispositivs auf Potenziale und Strategien aufmerksam gemacht wird. Nach Stolz würde sich die Begrenzungsstrategie besonders auf die Gruppen auswirken, die durch PISA sowieso schon zur Risikogruppe gehören und somit von Bildungsangeboten ohnehin nur peripher partizipieren (vgl. ebd.).

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(2008). Synchrone Perspektive auf Deformalisierung. In: Lernen zwischen Formalität und Informalität. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91167-0_4

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