Auszug
Mit seinen Studien zur „protestantischen Ethik“ hat Weber eine religionssoziologische Forschungsrichtung begründet, der es um die Klärung der religiösen Ursprünge des modernen Kapitalismus geht. In seinem berühmten Fragment „Kapitalismus als Religion“ hat Walter Benjamin (1991) eine Sichtweise skizziert, die quer zur Fragestellung dieser Forschungen zu liegen scheint. Im Gegensatz zu Weber beschreibt Benjamin den Kapitalismus nicht nur als ein religiös inspiriertes Gebilde, sondern als eine „essentiell religiöse Erscheinung“. Sie diene der „Befriedigung derselben Sorgen, Qualen, Unruhen, auf die ehemals die so genannten Religionen eine Antwort gaben“. Wie Benjamin ausführt, zeige sich die religiöse Natur des Kapitalismus in vier Charakterzügen: Erstens handele es sich um eine „reine Kultreligion“, die auf alle dogmatischen Sicherheiten verzichte. Zum zweiten werde der Kult permanent, „sans (t)rêve et sans merci“ und ohne Unterbrechung durch „Wochentage“ zelebriert. Drittens münde diese Religion nicht in Erlösung, sondern in eine immer weiter fortschreitende Verschuldung. Ein vierter Zug der Religion des Kapitalismus bestehe schließlich darin, dass „ihr Gott verheimlicht werden muss“ und erst „im Zenith seiner Verschuldung angesprochen werden darf.“ (Benjamin 1991: 100; siehe auch Steiner 1998)
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Literatur
Systemtheoretiker werden einwenden: Aber Wahrheit, politische Macht, Recht, Kunst, Liebe kann man doch nicht kaufen! Gewiss kann man sie nicht direkt „kaufen“, auch wenn solche plumpen Versuche der Korruption in der Wirklichkeit durchaus vorkommen. Aber sie müssen stets finanziert werden, eben dies macht ihren spezifisch „modernen“ Charakter aus. Gezahlt werden muss in allen Teilsystemen; Geld ist im Unterschied zu den anderen Medien in den Programmen aller Teilsysteme unentbehrlich. Der Unterschied zwischen der Wirtschaft und den anderen Teilsystemen liegt nicht in der Zahlung als solcher, sondern darin, dass in der Wirtschaft Zahlungen selbstreferentiell (d. h. unter dem Gesichtspunkt ihres profitablen Rückflusses) codiert werden, während die Codes der anderen Teilsysteme den Rückfluss des Geldes nicht vorsehen. Auch nichtmonetäre Operationen, selbst Geldkritik, setzen jedoch stets Geld als ihre Bedingung voraus. Und die Spielräume für solche Operationen bleiben prekär, gefährdet, stehen immer unter „Finanzierungsvorbehalt“. Denn der Rückfluss des Geldes muss dann auf andere Weise (z.B. über Steuerpflichten oder Familiensolidarität) gesichert werden, was oft ungewiss ist und demütigend sein kann. Bei der Politik, der Wissenschaft, der Kunst ist die Abhängigkeit vom Geld, zumal angesichts der heutigen Tendenzen zur „Ökonomisierung“ (Schimank/ Volkmann 2008), offensichtlich. Sie gilt aber auch für die Liebe, denn die moderne Liebe basiert auf der persönlichen Unabhängigkeit der Partner. Persönliche Unabhängigkeit ist jedoch undenkbar ohne je eigenes Geld. Wer die konstitutive Rolle des Geldes für die moderne Liebe genauer verstehen will, nehme nur Flauberts „Madame Bovary“ zur Hand.
Derartige Zyklus-oder Prozessmodelle der Genese, Verfestigung und Krise institutioneller Strukturen sind vor allem aus dem Kreis der „institutionalistischen“ Schule der Organisationsforschung heraus entwickelt worden. Tolbert und Zucker (1996: 180f.) etwa charakterisieren die Phasen als „Innovation — Habitualization — Objectivation — Sedimentation“. Vgl. auch die ähnlichen Ansätze bei Anderson und Tushman (1990), Beckert (1999) und Rammert (2000).
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(2008). Kapitalismus, Religion und Unternehmertum — eine unorthodoxe Interpretation. In: Kapitalistische Dynamik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91165-6_2
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