Auszug
Seit dem 11. September 2001 vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht mit einem Ereignis im Großen wie im Kleinen konfrontiert werden, das im Zusammenhang mit der Politisierung von Religion oder der religiösen Aufladung von Politik steht. Es ist nicht lange her, dass Papst Benedikt XVI. aufgrund eines islamkritischen Zitats eines mittelalterlichen Kaisers heftig aus der muslimischen Welt angegriffen wurde und nur durch deutliche ökumenische Schritte und Gesten die Wogen glätten konnte. Die Kopftuchdebatte schlägt in den meisten westeuropäischen Einwanderergesellschaft immer neue Wellen. Im vormalig ostdeutschen Berlin-Hellersdorf mobilisieren sich Hunderte, um den schon genehmigten Bau einer Moschee „im Namen des Volkes“ zu verhindern. Ein Pfarrer aus Erfurt verbrennt sich aus Protest gegen die für ihn nicht ausreichend erkannte Gefahr der Islamisierung Europas. Die Lage im Irak wird durch die sich intensivierende ethnisch-religiöse Gewalt immer prekärer. Ebenso beginnt sich die Lage in Afghanistan wieder zu verschlechtern, seitdem die Taliban wieder verstärkt militärisch auftreten. Somalia und Sudan sind Dauerkrisenherde. Ebenso scheint der nationalistischzivilisatorische Konflikt zwischen Israel und Palästina in Form einer auf-und abebbenden Gewaltspirale kaum lösbar.
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Literatur
Entgegen Huntingtons eigener methodologischer Charakterisierung, dass er nicht einen Großkonflikt von Zivilisationen vorhersage, sondern die Zunahme von Konflikten an den Bruchlinien der Zivilisationen annehme, wird ihm etwa von Harald Müller (1998, 2003) genau diese Großkonfliktthese unterstellt und diese dann gründlich widerlegt. Dabei ist an dieser und anderen Kritiken richtig, dass Huntington in der Tat von der inneren Komplexität und Widersprüchlichkeit von Zivilisationen in problematischer Weise abstrahiert (so etwa Eisenstadt 2001). Doch hat Huntington vor allem das Verdienst, die Kultur-und Religionsblindheit der dominanten sozial-und politikwissenschaftlichen Ansätze durchbrochen zu haben (vgl. Huntington 1995 und parallel Stepan 2001). D. Senghaas (1995) hat als einer der wenigen die sachliche Problematik der Huntington-These ernstgenommen und ein historisch-vergleichendes Analyseprogramm skizziert, das Kulturkämpfe im Kern durch Entwicklungskrisen von Peripherien im Verhältnis zu entwickelten Zentren bedingt sieht. Vgl. ders. (2004: 275–292).
Zwei Sammelbände geben Überblicke zum gegenwärtigen Stand der Diskussion zu Politik und Religion: M. Minkenberg/ U. Willems (2003) aus mehr politik-und sozialwissenschaftlicher und B. Giesen/D. Suber (2004) aus mehr soziologisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive. Für den neuesten Stand in den Geschichtswissenschaften G. Haupt/D. Langewiesche (2001).
Neben D. Martin und J. Casanova sind u.a. hervorzuheben: S. Bruce (1992, 1996) und K. Gabriel/Reuter (2004).
In Spohn (2003b) habe ich einen systematisch-vergleichenden Versuch einer historisch-soziologischen Erklärung unterschiedlicher Konfigurationen von Nationalismus und Religion in West-und Osteuropa vorgelegt. Vgl. auch meinen Überblick zu Nationalismus und Religion in Osteuropa (Spohn 1998).
Aufschlussreiche Studien zu nicht-europäischen Ländern enthalten T.G. Jelen/ C. Wilcox (2001).
Eine interessante Forschungsperspektive zeichnet sich hierzulande unter den Optionen Einheit und Vielfalt der Moderne und entsprechenden Struktur-und kulturvergleichenden Untersuchungen, vgl. Schwinn 2006.
Jaspers setzt die Achsenzeit von 800 v. Chr. bis 200 n. Chr. an, da er die geistes-und religionsgeschichtlichen Neuerungen im Auge hat. Nach Eisenstadt (1987b, 1992a) müssen auch die Kristallisationen von Zivilisationen mit einbezogen werden, die im Falle des Christentums und des Islam später liegen und nicht nur kulturgeschichtlich, sondern auch im Zusammenhang von Reichsbildungsprozessen erklärt werden müssen (vgl. Arnason 2003).
Zur Analyse gegenwärtiger Erscheinungsformen des Fundamentalismus vor allem die monumentale international vergleichende Studie von Marty/ Appleby (1990–1995), e-benso unter vielen anderen Ali 2002, Bielefeldt/Heitmeyer 1997, Gentile 2001, Meyer 1989, Booth/Dunne 2002, Juergensmeyer 1993, 2001, Kepel 1994, Marty 2005, und Ruthven 2005.
Interessant ist Eisenstadts Reinterpretation der Weberschen These des Zusammenhangs zwischen Protestantischer Ethik und der Entstehung des Kapitalismus: statt sie als Kausalbeziehung zu interpretieren, die-wie die lange kritische Weberdebatte gezeigt hat-historisch eben nur partiell zutrifft, sieht er den Kern der Weberthese im Wandlungspotential des Protestantismus, das nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch, institutionell und kulturell wirksam wird (Eisenstadt 2006:89–137). Aus dieser Reinterpretation ergeben sich dann wegweisende Vergleiche zwischen fundamentalistischen Strömungen innerhalb der protestantischen Reformation und der gegenwärtigen Rolle fundamentalistischer Strömungen in islamischen Gesellschaften, vgl. Utvik (2003).
Hier sind insb. auch neuere Ansätze zu Religion und Globalisierung in der international vergleichenden Politikwissenschaft und den Internationalen Beziehungen zu nennen, etwa Haynes (2003) und Thomas (2006).
Vgl. die Vorschläge zu einem interkulturellen Dialog bei Müller (1998) und Senghaas (2004); unter Berücksichtigung namentlich der religiösen Dimension: Timmer-mann/Segaert (2005).
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(2008). Globalisierung, Religion und Fundamentalismus — Zu den kulturellen Konfliktlagen gegenwärtiger Weltpolitik. In: Politik und Religion in einer sich globalisierenden Welt. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91134-2_1
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-16076-4
Online ISBN: 978-3-531-91134-2
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