Auszug
Verstand sich Politikwissenschaft nach 1945 normativ als Demokratiewissenschaft, so gilt dieser normative Bezug für die Politische Bildung umso mehr. Deshalb ist Demokratie-Lernen eine zentrale Aufgabe der Politischen Bildung. Um den Verdacht zu vermeiden, dass es sich dabei um eine technologische Werteübertragung, mithin um einen Prozess des Hinerziehens auf etwas Vorgegebenes handelt, ist die Politische Bildung bei der Formulierung von Kompetenzmodellen auf die Förderung von reflexiver Urteilskompetenz als Konzept der Selbsterziehung ausgewichen. 216 Pate für diese Art und Weise ein normatives Konzept des Demokratie- Lernens zu konstruieren,217 steht vor allem der amerikanische Pragmatismus. Im Rekurs auf die Erziehungsphilosophie von John Dewey hatten die Amerikaner nach dem zweiten Weltkrieg versucht, mit ihrer Re-education-Politik, „Demokratie als Lebensform“ zu etablieren, um Deutschland auf den demokratischen Weg zurück zu bringen. In den 1950er Jahren hat Friedrich Oetinger Deweys Vorstellungen von der gelebten Demokratie aufgegriffen und für sein eigenes Konzept der Partnerschaftserziehung fruchtbar gemacht. Eine eher verdeckte Rezeption hat in der Folgezeit den Pragmatismus aus dem Augenmerk entfernt. Erst Walter Gagels Hinweis, dass der Pragmatismus in verschiedenen konzeptionellen Entwürfen von Schmiederer bis Sutor als verborgene Bezugstheorie wirksam war218, hat dazu geführt, dass die zuerst in den Erziehungswissenschaften initiierte Wiederbelebung des Pragmatismus auch in der Politischen Bildung angekommen ist. Dabei hat vor allem mit Jürgen Oelkers Neuedition von John Deweys „Democray and Education“, eine Welle der Dewey-Rezeption begonnen, in deren Kontext auch in der Politischen Bildung wieder intensiv die Frage nach der Bedeutung von erfahrener Demokratie für die Entwicklung demokratischer Einstellungen und Verhaltensweisen thematisiert wird.
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Literatur
Vgl. Scherb, 2005b, S.270ff. sowie GPJE (Hg.), 2004, S.13ff.
Vgl. in diesem Zusammenhang die Beiträge von Pape, 2005, S.7ff. Scherb, 2005a, S.12ff.
Vgl. Gagel, 1995, S.205ff.
Vgl. Joas, 1996, S.359.
Vgl. Solzbacher, 1994, S.171ff. mit Bezug auf Lyotard.
Vgl. Heitger, 1990, S.12ff.
Vgl. Dewey, (1911) 1951, S.75. Vgl. auch Dewey, (1916), 1993, S.218.
Vgl. Dewey, (1916) 1993, S.188.
Vgl. Dewey, (1916) 1993, S.188 u. S.175ff. Dewey, (1916) 1993, S.189.
Dewey, (1916) 1993, S.178 gleichzeitig mit einer Kritik an der sog. „formalen Bildung“, die das Interesse nicht berücksichtigt.
Vgl. Dewey, (1916) 1993, S.205.
Vgl. Dewey, (1916) 1993, S.198.
Vgl. Dewey, (1916) 1993, S.189.
Vgl. hierzu auch Konrad, 1998, S.23ff.
Vgl. Dewey, (1916), 1993, S.188.
Vgl. Dewey, (1916) 1993, S.188.
Vgl. Dewey, (1916) 1993, 1993, S.186ff.
Vgl. Dewey, (1916) 1993, 1993, S.187.
Vgl. Scherb 2000, S.28f.
Vgl. Gagel, 1995, S.205ff., S.221. Vgl. auch Detjen, 1988, S.380f. m.w.N.
Vgl. ausführlich Scherb, 2000, S.27f.
Vgl. die Kritik von Gagel, 1995, S.216 an der nicht-authentischen Dewey-Rezeption.
Dewey, (1908) 1932, S.237f., 343f., 383, 386. Vor dem Hintergrund totalitärer Systeme hat Dewey, 1927, S.109 die Anfälligkeit seiner Erziehungsphilosophie, Erziehung nur instrumentell (nicht material) zu verstehen, erneut thematisiert.
Vgl. hierzu ausführlich Detjen, S.401ff.
Vgl. auch Oelkers, 1993, S.510.
Ebd., S.510.
Dewey, (1916), 1993, S.136.
Dies führt zu der Einschätzung, dass der amerikanische Pragmatismus nur deshalb keine Gefährdung des demokratischen Verfassungsstaates darstellt, weil er „naturrechtsgesättigt“ ist. Vgl. Detjen, 1988, S.401.
Dewey, (1916), 1993, S.121.
Vgl. Rorty, 1991.
Vgl. Rorty, 1982, S.174.
Vgl. Reich, 2000, S.177f.
Vgl. unter 4.1 Dimensionen bürgerschaftlicher Demokratiekompetenz (Abbildung 1, S.49).
Vgl. Scherb, 2002, S.11ff. Vgl. ausführlicher zur Geschichte des Konstruktivismus z.B. Jensen, 1999, S.181ff.
Dieser Naturalismus beinhaltet die Position eines „harten“ Realismus, der allerdings in der Aussage, „alles sei eine Konstruktion“ geleugnet wird. Vgl. Sandkühler, 1999, S.1349 r.Sp.
Glasersfeld, 1997, S.189 weist in diesem Zusammenhang auf die „Verirrung (hin), wenn behauptet wird, dass die Signale, die wir von unseren Sinnesorganen erhalten, einen Code darstellen, der Informationen über die Realität vermittelt.“
Zur Begriffsklärung vgl. Roth, 1994, S.280 u. 288, der die phänomenale Welt als „Wirklichkeit“ und die bewusstseinsunabhängige Welt als „Realität“ bezeichnet.
Vgl. Glasersfeld, 1997, S.190f. Hier manifestiert sich vielleicht eine Art Kohärenztheorie der Wahrheit.
Früher schon hat Uexküll, 1921, S.218 von der „Merkwelt“ und der „Wirkwelt“ bei Tieren und Menschen gesprochen.
Vgl. Sandkühler, 1999, S.1354, der darauf hinweist, dass gelegentlich unter Konstruktivisten auch ein ontologischer Solipsismus vertreten wird.
Roth, 1992, S.321.
Vgl. Siebert, 1994, S. 34 u. S.47. Vgl. auch Terhart, 1999, S.632
Reich, 2000, S.177f. sieht sogar einen untrennbaren Zusammenhang zwischen Konstruktivismus und demokratisch implementierter Interaktion.
Siebert spricht von der Konstruktion von Lebenswelten (Untertitel seines Buches von 1994).
Vgl. Siebert, 1994, S.34. „Wahrheit in diesem Kontext zeigt sich nicht mehr in einer ‚Realität in sich‘, ‚da draußen‘, die wir bloß finden müssen, sondern der Mensch das Subjekt, wird in seiner Bedeutung und Rolle als Wahrheiten generierendes Wesen zu bestimmen versucht. Und genau das ist auch der Ansatzpunkt des Konstruktivismus (Reich, 2000, S.90). Man könnte ergänzen, dass dies auch der Ansatzpunkt des Pragmatismus ist. „Die Vorstellung wird wahr, wird durch Ereignisse wahr gemacht. Ihre Wahrheit ist tatsächlich ein Geschehen, ein Vorgang und zwar ein Vorgang ihrer Selbstbewahrheitung, ihre Verifikation. Die Geltung der Wahrheit ist nichts anderes als der Vorgang des Sich-Geltend-Machens“. William James (1907) zit. bei Oehler, 1977, S.126.
Auch in dieser Überlebensorientierung ist eine Nähe zum Pragmatismus feststellbar. Vgl. auch hier unter 6.3. Pragmatismus und Demokratie-Lernen II, S.112f.
Terhart, 1999, S.632.
Vgl. Glasersfeld, 1997, S.336ff.
„(1) Überwältigungsverbot. Es ist nicht erlaubt, den Schüler — mit welchen Mitteln auch immer-im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der ‚Gewinnung eines selbständigen Urteils ‘zu hindern. (2) Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen“ Wehling 1977, S.179f.
Dies konzediert offenbar auch Siebert, 1994, S.62f.
Watzlawick, zit. bei Siebert, 1994, S.60f.
Vgl. Siebert, 1994, S.64.
Vgl. Glaser, S.140.
Foerster, 1993, S. 126.
Vgl. Glaser, S.143. Allerdings liegt hier der sogenannte naturalistische Fehlschluss zu Grunde, denn eine Objektivität des Seins begründet noch kein Sollen.
Vgl. Glaser, S.142f.
Vgl. Reich, 2000, S.129.
Vgl. in diesem Zusammenhang ausführlicher Oehler, 1993, S.82ff. m.w.N. Peirce hat seine eigene Position mit der Bezeichnung „Pragmatizismus“ gegenüber nicht-authentischen Rezeptionen abzugrenzen versucht. Vgl. Arroyabe, 1982, S.96. Vgl. Kuhn, 1996, S.276ff.
Charles Sanders Peirce, Lectures on Pragmatism (1903), in: Charles Hartshorn et al. (Hg.), Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Cambridge/Mass. 1934, § 5.19.
Nach dem Ursprung bei Peirce blieb der Pragmatismus kein homogenes Konzept. Die Fortführung einer pragmatistischen Tradition bei William James, John Dewey, George Herbert Mead u.a. hat verschiedene Denkrichtungen hervorgebracht. Vgl. im Überblick Martens, 1975, S.3ff. Dennoch können in dieser Denktradition als wesentliche Merkmale des philosophischen Pragmatismus diese gemeinsamen Elemente hervorgehoben werden.
Vgl. Martens, 1975, S.3ff.
Vgl. Joas, 1992, S.283 u. 305. Vgl. Pape, 2002, S.88.
Vgl. Joas, 1992, S.11f.
Vgl. Pape, 2002, S.91. Diese anti-essentialistische Komponente ist allerdings erkenntnistheoretisch zu verstehen und berührt nicht die ontologische Frage, ob hinter den Wahrnehmungen ein wie auch immer geartetes Wesen der Dinge existiert.
Vgl. Joas, 1992, S.281ff. (283). Vgl. ders., 1996, S.360, 363f., 367.
Reese-Schäfer, 1997, S.455 sieht hier eine philosophische Wurzel der Diskursethik. Peirce’ unbegrenzte Gemeinschaft aller Verstandeswesen versteht er als Vorläufer von Karl-Otto Apels Apriori der Verständigungsgemeinschaft.
Vgl. Pape, 2002, S.91.
Vgl. Scherb, 2000, S.25.
Vgl. Gagel, 1995, S.221. Vgl. auch Detjen, 1988, S.380f. m.w.N.
William James (1907) zit. bei Klaus Oehler, William James: Der Pragmatismus — ein neuer Name für alte Denkmethoden, Hamburg 1977, S.126.
Vgl. Scherb, 2002, S. 11ff.
Karl Otto Apel, Der Denkweg von Charles Sanders Peirce. Eine Einführung in den amerikanischen Pragmatismus, Frankfurt a.M., 1975, S.14.
Vgl. Böckenförde, 1976, S.60.
Vgl. Gagel, 1994, S.60, der hier den Ursprung des Wahrheitsbegriffs des Kritischen Rationalismus sieht, „welcher im Fallibilitätsprinzip die Möglichkeit der Wahrheit immer unter dem Vorbehalt einer unendlichen Verifizierung oder Falsifizierung durch die im Prinzip unbegrenzte Forschergemeinschaft versteht.“ Überdies sind für Gagel hier auch Konvergenzen mit einer Philosophie erkennbar, die die Wahrheitsfindung unter die Leitidee des idealen Diskurses stellt. Ausführlicher zum Zusammenhang der pragmatistischen Erkenntnistheorie von Charles Sanders Peirce mit fallibilistischen Konzeptionen jedoch Arroyabe, 1982, S. 125ff. Vgl. auch Habermas, 1973, S.117ff.
Dubiel, 1994b, S.106ff. und 151ff.
Vgl. in diesem Zusammenhang die diskurstheoretische Begründung des Prinzips OFFENHEIT bei Scherb, 1996, S.182ff.
Sutor, 1988, S.21 schlägt an dieser Stelle die Einführung der Verfassung in die Konsensdiskussion „als einen Schritt der praktischen Vernunft“ vor, „der sich aus dem Scheitern der ‚theoretischen Vernunft’ in der Frage der Letztbegründung gemeinsamer Werte zwingend ergibt.
Vgl. Scherb, 2004, S.95ff.
Für Reese-Schäfer ist hier die unbegrenzte Gemeinschaft aller Verstandeswesen als philosophische Wurzel der Diskursethik impliziert. Vgl. Reese-Schäfer, 1997, S.455.
Habermas, 1992, S.103.
Habermas, 1992, S.186 mit einem Hinweis auf Karl-Otto Apel.
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(2008). Streitbare Demokratie und Demokratieerziehung. In: Der Bürger in der Streitbaren Demokratie. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91133-5_6
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