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Auszug

Die Steuerungsansprüche, die das politische System mit der Selbstbeschreibung als Wohlfahrtsstaat erhebt, erfordern den Rückgriff auf Beratung durch Wissenschaft und Interessenvertreter — mit anderen Worten, auf spezifisches Wissen über mögliche Folgen der Steuerung in der Umwelt des politischen Systems. Ohne solches Wissen stünde im politischen System nur die Orientierung an der eigenen Vergangenheit, an vergangenen politischen Entscheidungen, zur Verfügung, um gegenwärtige Unsicherheiten zu absorbieren. Der Wohlfahrtsstaatsanspruch impliziert aber, dass gerade dies nicht ausreicht, weil das System immer wieder neue Probleme ansaugt und zu politischen Problemen macht, für die Lösungen gesucht werden müssen. Sowohl Problemdefinitionen als auch Lösungsvorschläge sind kontingent, so dass eine externe Absicherung ihrer Richtigkeit politisch ebenso attraktiv wie letztlich unmöglich erscheint. Das vorangegangene Kapitel hatte gezeigt, dass vorübergehend der Wissenschaft zugetraut wurde, solche Absicherungen allein bereitstellen zu können, aber auch schon darauf hingewiesen, wie kurzlebig diese Hoffnungen waren. Trotzdem nimmt die Politik wissenschaftliche Politikberatung in Anspruch, was darauf hindeutet, dass diese Beratung im politischen System nicht folgenlos ist. Die Frage ist, auf welche Weise sie den Umgang mit politischer Entscheidungsunsicherheit prägt, wenn ihre Wirkung nicht darauf beruhen kann, autoritativ beste Problemlösungen zu verkünden.

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Literatur

  1. Die Verwendungsforschung hat bereits in den achtziger Jahren für den Fall sozialwissenschaftlichen Wissens gezeigt, dass dessen Verwendung im politischen System nicht von der Wahrheit wissenschaftlicher Erkenntnisse abhängig ist, sondern sich an politischen Maßstäben orientiert; es ist also nicht besser, weil es wahr ist, sondern weil es das Label der Wissenschaftlichkeit trägt (vgl. Beck/ Lau 1982: 374).

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  2. Klassisches Beispiel für Forschungsergebnisse, die sich nicht in Form von Kausalzusammenhängen ausdrücken lassen, ist Darwins Evolutionstheorie (vgl. Poser 2007: 52).

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  3. Aus dem Zitat ergibt sich, dass Transdisziplinarität aus systemtheoretischer Sicht kein ergiebiger Begriff ist. Wo Luhmann ihn aufgreift, verwendet er ihn in ganz anderem Sinne, nämlich als Bezeichnung für Projekte wie das einer allgemeinen Systemtheorie, die auf einem Paradigma gründen, das von vornherein verschiedene wissenschaftliche Disziplinen übergreift (vgl. Luhmann 1990: 459). Für die vorliegende Arbeit kommt es dagegen darauf an, dass seine Verwendung im Zusammenhang mit Politikberatung beobachtet werden kann, so dass zu klären ist, inwiefern hier von Wissenschaft möglicherweise etwas anderes erwartet wird als Kausalschemata.

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  4. Ausnahmen sind etwa im Fall von Grenzwerten als Ziele denkbar; hier handelt es sich aber wiederum um Festlegungen, die auf der Basis von Annahmen über Wirkungen bestimmter Substanzen getroffen werden (vgl. Burger 2005: 51), also ebenfalls auf Kausalschemata beruhen.

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  5. Dies mag zwar für die Sozialwissenschaften in besonderer Weise gelten, aber etwa die im Kontext von politischer Risikoregulierung aufgeworfenen Fragen zeigen, dass die Naturwissenschaften in ähnliche Schwierigkeiten geraten, wenn sie es mit sehr komplexen Zusammenhängen (insbesondere in ökologischen Systemen) zu tun haben (vgl. Schomberg 1998).

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  6. Mit anderen Worten, obwohl wissenschaftliches Wissen im politischen System nur deshalb relevant ist, weil es dort auf Erleben zugerechnet wird, bleibt es im Kommunikationsschema der Beratung immer auf die Seite des (politischen) Handelns bezogen (vgl. Kap. 3).

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  7. Collingridge und Reeve (1986) schlussfolgern daraus, dass politische Entscheidungen generell kaum durch wissenschaftliche Erkenntnisse beeinflusst werden, sondern diese lediglich zur Legitimation benutzen. Sie dichotomisieren dabei allerdings unnötig die Wirkung wissenschaftlicher Politikberatung zwischen bloßer Legitimation und genuiner inhaltlicher Prägung politischer Entscheidungen, wie im Folgenden deutlich werden wird.

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  8. Ein offenbar relativ erfolgreicher Fall ist das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), in dem Ergebnisse der weltweiten Klimaforschung zusammengetragen und unter Konsenszwang Assessmentberichte veröffentlicht werden (vgl. Edwards/ Schneider 2001).

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  9. In welcher Weise sich die Markierung von Kommunikation als wissenschaftliche Kommunikation vollzieht, wird in der Wissenschaftsforschung vor allem unter dem Stichwort ‘boundary work’ behandelt (vgl. Gieryn 1983; Gieryn 1995).

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  10. Ein solcher Befund hat natürlich Konsequenzen für die Art und Weise, wie das Verhältnis von Wissenschaft und Politik grundsätzlich zu denken ist. Zentral sind hier noch immer die Überlegungen von Habermas (1973), die in ein von ihm pragmatistisch genanntes Modell wissenschaftlicher Politikberatung münden. Dieses Modell betont ebenfalls das Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik, allerdings aus einer normativen Perspektive. Abschnitt 5.3 wird sich genauer damit auseinandersetzen, wie das Modell im hier vorgeschlagenen Theoriekontext zu deuten ist.

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  11. Einen Sonderfall stellen die Umweltverbände dar, die nicht die Interessen von bestimmten Organisationen oder Personengruppen vertreten, sondern sich als Vertreter der Interessen der Natur beschreiben (vgl. Brodocz 1996: 374).

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  12. Für den fortdauernden Einfluss der Politikberatungsmodelle von Habermas auf die Diskussion über wissenschaftliche Politikberatung ist auch die Bedeutung verantwortlich, die das pragmatistische Modell der politischen Öffentlichkeit für das Gelingen des Diskurses zwischen Wissenschaftlern und Politikern beimisst. So stellt etwa Beck (1988) in seinen überlegungen zur Risikogesellschaft eine autoritäre Technokratie der Experten, die unsichtbare Risiken definieren, messen und auf diese Weise politische Entscheidungen über riskante Technologien bestimmen, einer Öffnung politischer Entscheidungsprozesse für Gegenexperten und Laien gegenüber (vgl. auch Ekberg 2007: 357ff.). Die Art und Weise der Öffentlichkeitsbeteiligung ist bei Habermas allerdings nicht klar, auch weil er im Zusammenhang mit seiner Diagnose eines Strukturwandels der Öffentlichkeit (Habermas 1990) die faktischen Möglichkeiten einer Öffentlichkeit, praktische Fragen authentisch zu diskutieren, unter den Bedingungen moderner Massendemokratie sehr skeptisch sieht.

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  13. Die generelle wissenschaftssoziologische These hat natürlich ebenfalls Widerspruch hervorgerufen, allerdings nicht so sehr im Fach selbst, als insbesondere unter Naturwissenschaftlern (vgl. Sokal/ Bricmont 2001).

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  14. Diese Position ist auch eine Reaktion auf die immer wieder konstatierte weitgehende ‘Beratungsresistenz’ der Politik. Denn eine zentrale Frage, die viele Arbeiten über wissenschaftliche Politikberatung behandeln, ist die nach den Gründen dafür, dass der Rat der wissenschaftlichen Experten so oft von der Politik ignoriert zu werden scheint. Der Hinweis auf den Vorrang einer spezifisch politischen Logik im Kontext von Beratung, die von Seiten der Wissenschaft ungenügend berücksichtigt wird, ist eine verbreitete Antwort auf diese Frage (vgl. Messner 2003).

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  15. Die Reflexion über wissenschaftliche Politikberatung setzt bei der Beschreibung der Machtlogik des politischen Systems vor allem auf Rational-Choice-Ansätze und wirtschaftswissenschaftlich inspirierte Verhaltensmodelle individueller politischer Akteure (vgl. Downs 1968), wie sie unter den Begriffen ‘Public Choice’ oder ‘Neue Institutionenökonomik’ entwickelt werden (vgl. Cassel 2001).

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  16. Damit wird aus der Betrachtung nicht die Beobachtung ausgeschlossen, dass gerade in jüngster Zeit neben Verbänden auch einzelne Unternehmen verstärkt Anstrengungen unternehmen, um mit Einschätzungen zu politischen Fragen Gehör zu finden (vgl. Wallrabenstein 2003). Als wesentliche Ursachen für diese Entwicklung, die gern mit dem Umzug von Regierung und Parlament von Bonn nach Berlin in Zusammenhang gebracht wird, werden eine zunehmende Partikularisierung von Interessen einerseits und die immer weniger an nationalstaatliche Grenzen gebundene Tätigkeit von Wirtschaftsorganisationen andererseits genannt (vgl. Kleinlein 2003). Die Interessen einzelner Verbandsmitglieder fallen immer öfter auseinander. Gleichzeitig vertreten die deutschen Verbände nicht die vielen ausländischen Unternehmen, die inzwischen in Deutschland Standorte haben. Als Folge setzen immer mehr Unternehmen auf eigene Lobbying-Aktivitäten. Das gilt erst recht für das Lobbying auf europäischer Ebene, das wegen der wachsenden Bedeutung von EU-Regelungen stark zunimmt (vgl. von Alemann 2000). In der theoretischen Diskussion schlägt sich das bislang kaum nieder, wenn man davon absieht, dass der Begriff des Lobbying oder Lobbyismus eine Konjunktur erlebt.

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  17. Für die Politikwissenschaft ist diese Sichtweise vor allem vor dem Hintergrund ihrer traditionellen Unterscheidung zwischen Staat und Gesellschaft innovativ. Der Staat gilt nicht mehr als hierarchisch übergeordnetes Steuerungszentrum, das in die Gesellschaft interveniert, sondern Staat und Gesellschaft treten in ein gleichrangiges Verhältnis, das durch Austausch und Verhandlungen charakterisiert ist (vgl. Knill 2000: 117). Aus soziologischer Sicht ist eine Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft dagegen ohnehin wenig überzeugend, weil sie die funktionale Differenzierung der Gesellschaft ausblendet.

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  18. Ausdrücklich zu erwähnen ist hier, was Offe (1981: 84) die Entlastungsfunktion der organisierten Interessen nennt. Gemeint sind Fälle, in denen schwierige Entscheidungen in pluralistisch zusammengesetzte Gremien von Interessenvertretern ausgelagert werden und auf diese Weise Unsicherheit absorbiert wird. Solche Verhandlungsrunden haben nichts mit Politikberatung in Sinne der vorliegenden Arbeit zu tun, weil die Unsicherheitsabsorption über Werte und Interessen läuft.

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  19. Ein weiteres Argument dafür, diesen Doppelcharakter der Verbände anzuerkennen, ergibt sich aus dem Phänomen des Unternehmenslobbyings. Unternehmen gelten als Organisationen des Wirtschaftssystems, und in der Tat sind sie dort unverzichtbare Adressen der Kommunikation. Dennoch treten die nach Umsatz, Mitarbeiterzahl und anderen Kriterien größten von ihnen neuerdings außerdem als Lobbyisten im politischen System auf und argumentieren dort mit Interessen und unter Berufung auf Werte (vgl. etwa Zumpfort 2004). Besonders typisch hierfür die Aussage von Reinhard Kopp (Volkswagen AG): „Unternehmen nehmen heute die Rolle von gesellschaftlichen Akteuren ein. Hierbei sind sie nicht einer einzigen Idee verpflichtet, wie das bei vielen NGOs der Fall ist, sondern stehen in breiter Verantwortung für Wohlstand, Beschäftigung, Staatseinkommen u.v.m.“ (Kopp 2003: 55). Vor diesem Hintergrund scheint es wenig sinnvoll, Organisationen, die Interessenvertretung betreiben, von vornherein ausschließlich dem politischen System zuzurechnen.

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  20. Collingrigde und Reeve (1986) etwa würden davon ausgehen, dass die Entscheidung immer aus anderen Gründen fällt und selbst der scheinbare Beratungserfolg daher keiner ist.

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  21. Siehe die beiden Sammelbände von Leif und Speth (2003, 2006), die Lobbyismus unter den Titeln „Die stille Macht“ bzw. „Die fünfte Gewalt“ behandeln. Die Darstellungen von Fallbeispielen betreffen vor allem Beiträge zum Einfluss unterschiedlicher Wirtschafts-und Branchenverbände; aber auch Umweltverbände und Gewerkschaften werden behandelt. In den übergreifenden Aufsätzen, die sich mit Lobbying allgemein auseinandersetzen, wird dieses dagegen immer an den Aktivitäten von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen festgemacht und auf dieser Basis ihr großer Einfluss kritisiert.

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© 2008 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden

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(2008). Politikberatung für den Wohlfahrtsstaat. In: Politikberatung und die Herstellung von Entscheidungssicherheit im politischen System. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91131-1_5

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  • Online ISBN: 978-3-531-91131-1

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