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Sozial- und Subjektstrukturen

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Reflexive Sozialpädagogik
  • 2609 Accesses

Auszug

Man kann das einleitende Zitat von Tenbruck auf zwei Arten lesen. In der einen Diktion weist es darauf hin, Wissenschaft sei nicht mit sozialen Tatsachen konfrontiert, die sie zur abbildlichen Repräsentation gelangen lässt. Der Charakter ihres Wissens ist konstruktiv, nicht deskriptiv — ganz in dem Sinne, wie in Kapitel zwei gegen Anomietheorien eingebracht wurde. Man kann den Satz aber auch anders lesen, indem nicht von einer Feststellung, sondern einer Fest-Stellung ausgegangen wird, d.h. von der Produktion von Evidenzen als „wirkliches“, „gültiges“ Wissen. Diesbezüglich stellt die Wissenschaft durchaus Wirklichkeit fest, indem sie zu ihrer Kristallisierung beiträgt. Zuzustimmen wäre Tenbruck auch in dieser Hinsicht, denn dieser Vorgang ist keineswegs „einfach“. Wissenschaft folgt hierbei besonderen Vorschriften und Traditionen und ist in eine Reihe von Kontexten eingelagert, welche die Wissensfest-stellung — als Etablierung scheinbar unbestreitbarer Tatsachen, als „black boxing“ (vgl. Belliger/Krieger 2006, 43f; Schützeichel 2007b, 320) — beeinflussen.

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Literatur

  1. Zur Tradition im Rahmen gemeinwesenorientierter Sozialarbeit vgl. im Überblick Oelschlägel (2001); Hinte (2002).

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  2. Symptomatisch für die in dieser Hinsicht nicht unproblematischen Vorgaben Herbarts war Willmanns (1874–75/1971) Rekurs auf Herbart und Schleiermacher, denn dieser hatte bekanntlich unmittelbar an die gesellschaftliche Referenz der Pädagogik angeschlossen. Gleichwohl war selbst bei Herbartianern, die häufig als reine Individualpädagogen wahrgenommen werden, anerkannt, dass die Pädagogik Herbarts sozialtheoretisch ergänzt werden müsse. So berichtet Willmann (1918, 105) von Gesprächen mit Ziller, der dies einräumte, aber anders als Willmann hierfür „aus Herbart selbst die Materien beschaffen“ wollte.

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  3. Das zugrunde liegende Verständnis von Sozialität bringen Laclau und Mouffe (2006, 130) in ihrer artikulationstheoretischen Reformulierung von Sozialität auf den Punkt: „Wir müssen folglich die Offenheit des Sozialen als konstitutiven Grund beziehungsweise als ‚negative Essenz ‘des Existierenden ansehen sowie die verschiedenen ‚sozialen Ordnungen ‘als prekäre und letztlich verfehlte Versuche, das Feld der Differenzen zu zähmen. Demnach kann die Vielgestaltigkeit des Sozialen weder als ein System von Vermittlungen noch die ‚soziale Ordnung ‘als ein zugrunde liegendes Prinzip begriffen werden. Es gibt keinen ‚der Gesellschaft ‘eigentümlichen genähten Raum, weil das Soziale selbst kein Wesen hat.“

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  4. Sie bezieht sich nicht nur auf die Ebene der Intervention, sondern prinzipiell auf die Wahrnehmung von Normabweichungen. Bernfelds Konzept des sozialen Ortes fordert dazu auf, nicht nur ätiologisch soziale Verursachungen von Problemen aufzusuchen, sondern deren Diagnose selbst als ortsgebunden zu denken (vgl. Bernfeld 1929/1971, 199f). Ein Sachverhalt kann je nach dem Ort, an dem er auftritt, unterschiedlich gewertet werden, auch vom Betroffenen selbst. Wird von Kritikern interaktionistischer Etikettierungstheorien argumentiert, dass Zuschreibungen von Devianz aufgrund struktureler Faktoren nicht beliebig erfolgen können (vgl. Boogaart/Seus 1991, 25f), so war bereits für Bernfeld die Möglichkeit, Devianz zuzuschreiben, systematisch vorherbestimmt, und zwar insbesondere durch den Ort, an dem Erziehung bzw. Sozialpädagogik stattfindet. Er führt zu spezifischen Bewertungen von Sachverhalten in Abhängigkeit von den konkreten Bezügen, in denen sie auftreten. So mag im einen Kontext als Verwahrlosung interpretiert werden, was im anderen kaum auffällt. Um diese Deutungen zu verstehen, ist jeweils in Rechnung zu stellen, in welchem gesamtgesellschaftliche Zusammenhang, insbesondere mit Blick auf Positionen im Gefüge sozialer Ungleichheit, sie auftreten.

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  5. Im gleichen Jahr bestätigte aus gänzlich anderer theoretischer Perspektive Aloys Fischer (1925/1954), dass der Glaube, Krisenlösungen seien durch ein verberuflichtes System sozialer Hilfen erreichbar, eher unrealistisch war. Zwar legte er Hoffnungen auf ein Projekt sozialpädagogischer, präventiver Volkserziehung als „Schulungsstätte des sozialen Bewusstseins für jedermann“ (ebd., 334). Aber im Rahmen der gegebenen Gesellschaft tendierte man durch ein System staatlichöffentlicher Sicherung in die Gefahr einer „Steigerung der Übel“ (ebd., 336), gegen die man antrat. Eine einmal in Gang gesetzte Fürsorgemaschinerie, so warnte er, folge eher ihrer Eigenlogik der Klientelisierung und Defizitzuschreibung bei gleichzeitiger De-Motivierung der (potentiellen) Adressaten, als problemlösend zu wirken.

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  6. Zur Förderung von sozialem Ausschluss können beispielsweise auch hilfsorientierte Sozialraumlogiken beitragen. Wenn Verhalten nur innerhalb begrenzter Kontexte akzeptiert, in anderen aber negativ sanktioniert wird, kann sich sozialräumliche Segregation bzw. Ausgrenzung ergeben. Ein instruktives Beispiel zeigt die „akzeptierende Drogenarbeit“. Schmidt-Semisch und Wehrheim (2005) verweisen treffend auf eine „exkludierende Toleranz“.

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  7. Zugrunde gelegt wird die Unterscheidung Kaufmanns (2005, 69ff, 107ff), der eine Typologie rechtlicher, ökonomischer, ökologischer und pädagogischer Interventionsformen der Sozialpolitik aufstellt. Kaufmann beschreibt dabei pädagogische Maßnahmen, soweit sie auf Partizipationsfähigkeiten abstellen, als Grundlage der anderen Formen, da „gesellschaftliche Teilhabe stets Handlungsfähigkeit, aber auch Handlungsbereitschaft“ (ebd., 101), voraussetzt. Es trifft auch umgekehrt zu, dass pädagogische Interventionen rechtlicher und ökonomischer Garantien bedürfen.

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  8. Die Frage, ob es einen solchen Code im Falle der Sozialpädagogik gibt oder nicht, und wenn ja, wie er dann beschaffen ist, ist hier irrelevant. Luhmann selbst war bekanntlich skeptisch, dass soziale Hilfe sich als eigenständiges soziales Subsystem ausdifferenziert habe; er konstatierte allerdings, man könne eventuell „ein Funktionssystem im Entstehen beobachten“ (Luhmann 1998, 634). Dies muss an dieser Stelle ebenso wenig wie die hierauf bezogenen Auseinandersetzungen in den Theoriedebatten von Sozialpädagogik/Sozialarbeit weiter verfolgt werden.

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  9. Dieser Grundgedanke kennzeichnet moderne Pädagogik insgesamt. Etwa für Wilhelm von Humboldt resultierte allgemeine Bildung als „Aufgabe einer Pädagogik, die die in der Ständegesellschaft und im absolutistischen Staat vorgegebenen Grenzen der Bestimmung des Menschen entgrenzt“ (Benner 1990, 78). Tradierte Grenzen wurden zunehmend unsicher und engten den Einzelnen ein, so dass pädagogisch zu fragen war, welche neuartigen Grenz-Orientierungen und Integrationsmechanismen nun im Erziehungsprozess anzuerkennen und zu fördern waren. Für Humboldt (und andere) verwies dies auf Individualität im Rahmen nationaler Bindungen. In den Diskussionen um eine „reflexive Modernisierung“ wird dieses Thema auf spezifische Weise neu theoretisiert und qualifiziert, so dass unmittelbare (sozial-)pädagogische Anschlussfähigkeit gegeben ist.

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  10. Eine in der Folgezeit für die Sozialpädagogik sehr relevante Grenzlinie zwischen pädagogisch anzustrebenden und nicht-pädagogischen, aber gleichwohl „erzieherisch“ wirksamen Einflüssen auf die Menschen lag in der oben erwähnten diskursiven Polarisierung von „Gemeinschaft“ versus „Gesellschaft“ (vgl. Dollinger 2006a, 187ff; Henseler/Reyer 2000). Sie war mit der Unterscheidung einer sozialpädagogisch wertgeschätzten und zu fördernden Kultur versus einer diskreditierten Zivilisation assoziiert. Als Entgrenzungsdiagnose lässt sie sich bestimmen, da die zivilisatorischtechnischen Neuerungen der Moderne der „Gesellschaft“ eingeschrieben wurden und ihr eine Tendenz attestiert wurde, Gemeinschaften epochal zu überlagern und ihre vermeintlich „naturwüchsigen“ kulturellen Wertbindungen erodieren zu lassen (vgl. Oelkers 1991). Zivilisatorische Erziehungseinflüsse schienen die Gesellschaft zu durchziehen und mit dem Fortschreiten sozialen Wandels immer nachdrücklicher die ihnen innewohnenden Probleme einer Anonymisierung, Technisierung und instrumentellen Denkens zu expandieren. In der Grundtendenz, d.h. über theoretische Unterschiede hinweg, erschien die „Gesellschaft“ als lediglich „mechanisches Aggregat und Artefakt“, die „Gemeinschaft“ hingegen „als ein lebendiger Organismus“, als „das dauernde und echte Zusammenleben“ (Tönnies 1887/1991, 4). Und dabei war die „Gemeinschaft (...) alt, Gesellschaft neu, als Sache und Namen“ (ebd.). Die Gesellschaft überstieg damit die Grenze zu den gemeinschaftlichen Bindungen und lies die Frage aufkommen, wie gegen diese Entgrenzung die geschätzten Gemeinschaften reetabliert werden konnten. Insbesondere die Jugendbewegung symbolisierte für die Sozialpädagogik diese Option, „Gemeinschaften“ pädagogisch fruchtbar zu machen und sie innerhalb und v.a. gegen „Gesellschaften“ als Mittel zur Erziehung einsetzen zu können.

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  11. Zur Verortung des Entgrenzungsthemas im Rahmen neuerer Thesen einer Normalisierung Sozialer Arbeit vgl. Seelmeyer (2008).

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  12. Verschiedentlich wird zur Illustration dieses Sachverhalts auf die Doppeldeutigkeit des Französischen „assujettir“ und/oder des Englischen „subject“ bzw. den zugrunde liegenden lateinischen Ursprung hingewiesen. Es wird sowohl eine Unterwerfung des Menschen als auch sein Subjektstatus im Sinne von Selbstbestimmtheit angesprochen (vgl. z.B. Althusser 1977, 146, Fn.; Butler 2001; Foucault 1987, 246f).

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  13. Zu einem analogen Theorieproblem Foucaults, das freilich auf einer anderen Basis beruht und in dessen späten Arbeiten korrigiert wurde, vgl. Lemke (1997). Zu einer Kritik an Althussers zu stark homogenisiertem Anrufungskonzept in Referenz u.a. auf Foucault und Links Konzept des Normalismus vgl. Zima (2007, 237ff). Eine Zusammenstellung kritischer Anmerkungen zur „Anrufung“ in Scharmacher (2004, 70ff).

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  14. Im Gegensatz insbesondere zu Butler (1998, 226), die darauf hinweist, dass die subjektivierende Sprache „entoffizialisiert und für neue Zwecke enteignet“ werden kann (vgl. hierzu aus bildungstheoretischer Sicht Ricken 2006, 112ff).

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  15. Zu einem Überblick der Ansatzpunkte Foucaults in subjekttheoretischem Kontext vgl. Reckwitz (2008, 23ff).

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  16. Ergänzend aus juristischer Sicht vgl. Walther (2007).

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  17. Hierzu Aloys Fischer (1925/1954, 319), der anmerkt, es sei „die erste Bedingung geistig-sittlicher Hilfe (...) in den Hilfsbedürftigen der Wille, sich helfen zu lassen, und damit zusammenhängend das überzeugte Vertrauen zu diesem oder jenem Menschen, dass er zu dieser Hilfe uneigennützig und herzlich fähig und bereit ist.“

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  18. Damit sei nicht negiert, dass weitere Begriffskategorien zur Identifizierung sozialpädagogischer Tätigkeit zur Verfügung stehen, etwa die „Hilfe“, deren Relevanz in der Sozialpädagogik allerdings stets umstrittener war als in der Tradition der Sozialarbeit (vgl. im Einzelnen Niemeyer 2002). Ansonsten ist an die „Intervention“ zu denken; sie wird hier als übergeordnete Analysekategorie für sozialpädagogische Problembearbeitung verwendet, da sie eine Perspektive der Beobachtung problembearbeitenden Handelns beinhaltet (vgl. Kaufmann 2005, 109).

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  19. Dies gilt zumal für den Glauben, „Bildung“ sei durch „technokratische Verhaltenssteuerung durch (Experten) Programme“ (Cremer-Schäfer 2008, 177) herzustellen, deren Scheitern gegebenenfalls weniger den Programmen oder sozialen und strukturellen Rahmenbedingungen als mangelnder Investitionsbereitschaft und-fähigkeit des Einzelnen (und seiner Familie) anzulasten sei.

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  20. Aus professionstheoretischer Sicht erörtert Gildemeister (1983, 76) als eine Paradoxie sozialpädagogischen Handelns die Problematik einer „Einflussnahme ohne Beeinflussung“, denn der „Klient soll veranlasst werden, sich freiwillig zu verändern“. Sie bringt damit, ohne dies explizit anzusprechen, eine durch die Bildungssemantik ermöglichte subjektbezogene Distinktion sozialpädagogischen Wissens zum Ausdruck. Verweisen Problemdefinitionen auf Beschädigungen von Subjektivitäten und fordern eine subjektbezogene Revision, so können Ansprüche, die dies durch eine bloße Disziplinierung oder gar „Unschädlichmachung“ von Subjekten zu erreichen suchen, mit der Bildungsreferenz konterkariert und im Gegenzug sozialpädagogisches Wissen plausibilisiert werden.

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  21. Gegen die aktuelle Diskreditierung des Erziehungsbegriffs ist einzuwenden, dass „ein ständiges Vermitteln oder gar Einbläuen von Werten (...) nur als pathologische Variante“ (Müller 2006a, 425) von Erziehung zu betrachten ist.

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  22. Interaktionen zwischen Sozialpädagoge und Adressat können demnach nur verstanden werden, wenn Kontextbedingungen etwa organisationaler und gesellschaftlicher Art bedacht werden (vgl. Hamburger 2003; Schaarschuch 1999).

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  23. So konstruieren Kunstreich und Lindenberg (2002, 353) in kritischer Absicht am Beispiel einer Jugendgerichtshelferin folgende Grundregel einer naturwissenschaftlich-klinischen Diagnostik: „Konzentrieren Sie sich auf das Problemverhalten des Jugendlichen und versuchen Sie, im Wege der Einzelfallhilfe eine für Ihren Klienten respektive Ihre Klientin angemessene Intervention anzustreben.“ Das Adjektiv „angemessene“ übernimmt die Funktion, zwischen diagnostisch erzieltem Befund und einzuleitender Intervention zu vermitteln. Eine „adäquate“ Diagnose, so wird unterstellt, erlaubt eine „passende“ Intervention, die den — vermeintlich statischen — Ausgangszustand in seinem Problemgehalt auflöst oder maßgeblich vermindert.

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  24. Zur Diskussion für und wider eine sozialpädagogische Diagnostik und zur Rekonstruktion der neueren Diskussion sei verwiesen auf Harnach (2007), Heiner (2004), Peters (1999), Uhlendorff u.a. (2006, 172ff), Widersprüche (2003).

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(2008). Sozial- und Subjektstrukturen. In: Reflexive Sozialpädagogik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91124-3_4

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  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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