Auszug
In den vorangegangenen Kapiteln wurde die Zielsetzung dieser Arbeit, habituelle Konstruktionen sozialer Differenz im Kontext von Organisationen der freien Wohlfahrtspflege zu erforschen, ausführlich hergeleitet. In einer praxeologischen Perspektive bedeutet dies, das kollektive, implizite und handlungsleitende Erfahrungswissen der Organisationsmitglieder zu rekonstruieren, auf das sich ihre Wirklichkeitskonstruktionen gründen. Es dürfte bereits deutlich geworden sein, dass die empirische Bearbeitung des Forschungsthemas einen qualitativen bzw. rekonstruktiven114 Zugang erfordert. Schließlich „kann man die Untersuchungspersonen nicht einfach auffordern zu berichten, wie, nach welchen Maximen und mit welchen Methoden, sie ihre Welt konstruieren“ (Meuser 2003a, 141). Das implizite Wissen, um das es hier geht, eröffnet sich Forschenden vor allem über Erzählungen und Beschreibungen der Akteure. Um diesen Raum zu geben, folgt rekonstruktive Forschung den Prinzipien der Offenheit und der Kommunikation (Hoffmann-Riehm 1980). Das bedeutet zum einen, dass Forschende nur, indem sie eine Kommunikationsbeziehung mit den zu Erforschenden eingehen, in der sie „das kommunikative Regelsystem der Forschungssubjekte in Geltung (lassen)“, zu Ergebnissen kommen können (ebd., 347). Zum anderen wird „die theoretische Strukturierung des Forschungsgegenstandes zurückgestellt (...), bis sich die Strukturierung des Forschungsgegenstandes durch die Forschungssubjekte herausgebildet hat“ (ebd., 343). Die Verwendung offener Verfahren (z. B. narrativer Interviews), ermöglichst es den zu Erforschenden, ihr eigenes Relevanzsystem und ihr kommunikatives Regelsystem zu entfalten; auf diese Weise können — im Sinne eines methodisch kontrollierten Fremdverstehens — Unterschiede in den Interpretationsrahmen von Forschenden und Erforschten sichtbar gemacht werden (vgl. Bohnsack 2003a, 21).
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Literatur
Ich verwende im Weiteren den Begriff „rekonstruktiv“, womit im Anschluss an Bohnsack die zentrale Differenz zwischen hypothesenprüfender und rekonstruktiver Forschung (im Gegensatz zu der häufig verwendeten Unterscheidung zwischen quantitativer und qualitativer Forschung) deutlich gemacht werden soll (vgl. Bohnsack 2003a).
Auch im Bereich der Migrationsforschung werden Fragen der Konstruktion des „Anderen“, der Standortgebundenheit des Forschenden sowie die Wirkungen der Wissenschaft in Hinblick auf die erforschten Minderheitenangehörigen und gesellschaftliche Machtverhältnisse reflektiert (vgl. z. B. Mecheril 1999).
Darüber hinaus wird festgestellt, dass es mittels komparativer Analyse möglich ist, die eigene Standortgebundenheit zu reflektieren bzw. zu transzendieren (vgl. Behnke/ Meuser 1999, Krüger 1999); vgl. zur komparativen Analyse im Rahmen der dokumentarische Methode Kapitel 5.3.2.
Während es im Bereich intersektionaler Forschung im deutschsprachigen Raum inzwischen vereinzelte biographietheoretisch ausgerichtete Arbeiten gibt, die sich durch einen reflektierten Umgang mit der eigenen Konstruktion sozialer Differenz im Forschungsprozess auszeichnen (vgl. Lehmann 2008, Lutz/Davis 2005), mangelt es bislang an Studien, die mit dem Gruppendiskussionsverfahren arbeiten und sich dabei am intersektionalen Paradigma orientieren. So wird auch zusammenfassend festgestellt, dass der Ansatz der Intersektionalität derzeit nicht mit einer Methodologie verbunden ist bzw. sich nicht direkt auf eine bestimmte Methode beziehen kann (vgl. Phoenix/Pattynama 2006). Vgl. zur Komplexität von intersektionalen Studien McCall 2005, vgl. außerdem Kapitel 7.2.3 der vorliegenden Arbeit.
Przyborski unterscheidet im Einzelnen parallele, antithetische und univoke Diskursorganisation, die als inkludierende Modi zusammengefasst werden können, sowie oppositionelle und divergente Diskursorganisation, die als exkludierende Modi der Diskursorganisation zusammengefasst werden können (vgl. Przyborski 2004, Bohnsack/Przyborski 2006).
Ich orientiere mich hier an Mensching (2006, 2008), die in ihrer Arbeit zu „gelebte(n) Hierarchien“ in der Polizei gleichzeitig die propositionale Ebene des Berichtens über Erfahrungen mit Hierarchien und die perfomative Ebene der Herstellung von Hierarchien im Rahmen der Gruppendiskussionen untersucht hat.
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(2008). Methodischer Zugang und Forschungspraxis. In: Habituelle Konstruktion sozialer Differenz. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91120-5_6
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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