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Praxeologische Perspektiven: Habitustheorie, dokumentarische Methode und Organisationskultur

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Habituelle Konstruktion sozialer Differenz
  • 2514 Accesses

Auszug

In Kapitel 1 wurden die ethnomethodologisch orientierten Konzepte des „doing gender“ (West/Zimmerman 1987) und des „doing difference“ (West/Fenstermaker 1995a) vorgestellt. In der Kritik an ihnen wurde deutlich, dass sie auf die situative Herstellung der Differenz beschränkt bleiben und damit soziale Strukturen, die einen Einfluss auf die Interaktion haben und die Stabilität der Konstruktionen erklären, nicht zu erfassen vermögen. Dargestellt wurde ferner, dass insbesondere in der deutschen Rezeption der Konzepte des „doing“ Überlegungen dazu angestellt wurden, wie sich Regelmäßigkeiten und Kontinuitäten in der interaktiven Herstellung sozialer Differenz erklären lassen. Dazu wird vor allem auf das soziologische Konzept der „Institution“ zurückgegriffen. Mit der Analyse von Institutionen setzt eine als wissenssoziologisch bezeichnete Perspektive ein (vgl. Gildemeister 2001, 75), wobei zu spezifizieren ist, dass es sich hier um die Wissenssoziologie in der Tradition Berger/Luckmanns (1999) handelt.63 Im Zentrum der Theorie Berger/Luckmanns steht die Frage der Objektivierung gesellschaftlicher Ordnung. Gesellschaftliche Ordnung, die als „objektiv“ erfahren wird, wird dabei als Ergebnis fortlaufender Prozesse der Wiederholung, Habitualisierung und Institutionalisierung von Interaktionen konzeptualisiert. In der Interaktion zweier Akteure werden Berger/Luckmann zufolge Typisierungen produziert, die sich auf die wechselseitige Unterstellung von Beweggründen beziehen. Die Handlungen des jeweils anderen werden damit im Laufe der Zeit voraussehbar.

Wie ich in Kapitel 1 bereits kurz erwähnt habe, erscheint mir die Bezeichnung „sozialkonstruktivistisch“ oder „wissenssoziologisch-sozialkonstruktivistisch“ für die Theorie Berger/Luckmanns geeigneter, um den Unterschied zur Wissenssoziologie in der Tradition Mannheims, um die es in diesem Kapitel gehen wird, zu verdeutlichen.

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Literatur

  1. Krais/Gebauer kritisieren die deutsche Übersetzung des Plurals von Habitus mit „Habitusformen“ und schlagen stattdessen vor, von Habitus (gesprochen mit langem „u“) auch im Plural zu sprechen (vgl. 2002, 7). Ich behalte jedoch die Formulierung „Habitusformen“ an den Stellen bei, an denen es mir aufgrund anschließender Zitate oder des sprachlichen Zusammenhangs sinnvoll erscheint.

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  2. Bourdieu betont, dass aufeinander abgestimmte Praktiken ohne jede direkte Interaktion oder Abstimmung zwischen den Akteuren zustande kommen (vgl. 1998).

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  3. „Le sens pratique“ lautet der Titel von Bourdieus 1980 erschienenem Werk, dass in der deutschen Version den Titel „Sozialer Sinn“ (1993) trägt. Meuser kritisiert die Übersetzung von „sense pratique“ mit „sozialem Sinn“; diese vermittle nur unzureichend die Dimension des praktischen Verstehens (vgl. 2001, 210).

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  4. Rehbein spricht auch von einem „psychosomatischen Gedächtnis“ (2006, 90). Bourdieus Vorstellung vom Körper ist eng mit der von Maurice Merleau-Ponty verwandt, wie Rehbein ausführt: „Nach Merleau-Ponty haben wir keinen Körper, sondern wir sind Körper, wir sehen nicht mit dem Auge, sondern sind sehend bei den Dingen, wir führen nicht die Hand, sondern die Hand hat ein eigenes Gedächtnis.“ (Rehbein 2006, 91) Bourdieu betrachtet in ähnlicher Weise die soziale Ordnung auch als eine Ordnung der Körper und ihrer Haltung. Die Handlungsschemata prägen sich ihm zufolge in erster Linie in den Körper ein (vgl. Rehbein 2006, 92). „Was der Leib gelernt hat, das besitzt man nicht wie ein wiederbetrachtbares Wissen, sondern das ist man.“ (Bourdieu 1993, 135).

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  5. Bourdieu bezeichnet den Habitus in Anlehnung an Leibniz auch als „lex insita“ (vgl. Bourdieu 1993, 111).

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  6. Mannheim prägte den Begriff der dokumentarischen Methode bereits in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts (vgl. Bohnsack 2003b).

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  7. Garfinkel verwendete in diesem Zusammenhang den Begriff der „dokumentarischen Methode“ von Mannheim, womit er allerdings in erster Linie auf den Umstand hinweisen wollte, dass Alltagsinterpret/inn/en wie Wissenschaftler/innen bei ihren Interpretationen die einzelne Äußerung als Dokument eines zugrunde liegenden Musters ansehen, welches wiederum nur durch die besondere Erscheinung identifizierbar ist (vgl. Weingarten/ Sack 1976, Bohnsack 2003a).

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  8. Vgl. ausführlich zu den Zusammenhängen von Habitustheorie und dokumentarischer Methode Meuser 1999 und 2001.

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  9. Bourdieu hat sich zwar mit dem Zusammenhang von Habitus und Geschlecht sowie dem Geschlechterverhältnis als Herrschaftsverhältnis befasst (vgl. 1997a, 1997b, 2001, 2005), seine Überlegungen aber nicht systematisch in seine Klassen-und Habitustheorie integriert. Bourdieu sieht das Geschlecht als eine „ganz fundamentale Dimension des Habitus, die, wie in der Musik die Kreuze oder die Schlüssel, alle mit den fundamentalen sozialen Faktoren zusammenhängenden sozialen Eigenschaften modifiziert“ (1997b, 222); er ist jedoch der Ansicht, man könne „wissenschaftlich nicht auseinanderhalten, was der Klasse und was dem gender zukommt“, sondern beobachtbar seien immer „gesellschaftlich und geschlechtlich konstruierte Habitus“ (ebd., 225). Eine Reihe von Wissenschaftler/innen haben Bourdieus Überlegungen hinsichtlich der Geschlechterdifferenz aufgegriffen und weiterentwickelt (vgl. z. B. Dölling 2004, Dölling/Krais 1997, Hermann 2004, Krais 2001, Krais/Gebauer 2002, Meuser 2006, Rademacher 2002).

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  10. Mikrosoziologische Ansätze der Institutionentheorie analysieren im Gegensatz zu den hier kurz skizzierten makro-oder mesosoziologischen Ansätzen die Organisationen selbst als Institutionen; vgl. hierzu ausführlich Türk 1997 sowie Wilkens et al. 2003.

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  11. Vgl. zur feministischen Organisationssoziologie, die inzwischen als eigenständiger Bereich in der Soziologie bezeichnet wird (vgl. Peinl et al. 2005), Kapitel 1.1.1.

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  12. Vgl. ausführlich zur Entwicklung der Organisationskultur-Diskussion Dülfer 1988.

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  13. Insgesamt unterscheidet Smircich (1983) fünf verschiedene Konzepte, die sie dann entweder dem Variablenansatz oder dem Metaphernansatz zuordnet: comparative management, corporate culture, organizational cognition, organizational symbolism, unconscious processes and organization.

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  14. Vgl. als Beispiele aus dem Bereich sozialer Arbeit Klatetzki 1993, Cloos 2004.

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  15. Zuerst 1985: „Organizational Culture and Leadership: A Dynamic View“.

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  16. Schreyögg selbst verwendet den Begriff der „Unternehmenskultur“; während in Veröffentlichungen im Bereich der Betriebswirtschaft häufig von „Unternehmenskultur“ die Rede ist und der Begriff dann vor allem auf wirtschaftliche Unternehmen bezogen wird, verwenden die Sozialwissenschaften in der Regel den Begriff der „Organisationskultur“ als den umfassenderen Begriff. Dülfer stellte jedoch bezogen auf verschiedene Texte in einer Aufsatzsammlung kaum Unterschiede zwischen der Verwendung des Begriffs der „Unternehmenskultur“ bei Schreyögg und dem Begriff der „Organisationskultur“ bei anderen Autor/inn/en fest (vgl. 1988, 2).

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  17. Martin (2002) ordnet den drei verschiedenen Perspektiven jeweils eine Reihe unterschiedlicher organisationskulturell ausgerichteter Arbeiten zu, worauf ich hier jedoch nicht im Einzelnen eingehen kann.

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  18. Vgl. zum Kulturbegriff in den Sozialwissenschaften z. B. Hauck 2006, zum Begriff der Organisationskultur Schreyögg 1999, zum Begriff sozialer Milieus Hradil 1999, Matthiesen 1998, Bohnsack 1998, 2003a und zum Begriff des konjunktiven Erfahrungsraums Bohnsack 2003a.

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  19. Kulturen im Kontext von Organisationen als „lokale Milieus“ zu begreifen, wie Mensching (2008, 49) dies im Anschluss an Baecker (1999, 108) tut, berücksichtigt meiner Meinung nach nicht genügend, dass gemeinsame Orientierungen, die sich im organisationsbezogenen Handeln zeigen, in Milieus gegründet sein können, die über die Organisation hinausreichen.

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  20. Anzunehmen ist, dass die Organisation über diese kollektiven Erfahrungsräume und Milieus hinweg auch durch andere Elemente zusammengehalten wird; dazu gehören beispielsweise die mit den Mitgliedsrollen verbundenen formellen Regeln und (exterioren) normativen Erwartungen. Darüber hinaus bilden sich (kommunikativ-generalisierte) Wissensbestände heraus, welche — u. a. auf dem Wege von Ritualen, von rituellen Praktiken — die Kommunikation zwischen unterschiedlichen konjunktiven Erfahrungsräumen und Milieus sichern und eine Präsentation nach außen („corporate identity“) ermöglichen. Auch „Spielpraktiken“ können, wenn man sich auf die mikropolitische Organisationssoziologie beziehen möchte, einen Beitrag zum Zusammenhalt der Organisation leisten (vgl. Mensching 2008). Mein Fokus ist jedoch in praxeologischer Perspektive auf die handlungsleitenden Orientierungen der Organisationsmitglieder gerichtet und ich gehe, wie erwähnt, davon aus, dass es hierin etwas Geteiltes gibt, das wesentlichen Anteil an dem hat, was die Organisation konstituiert, erhält und ausmacht.

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(2008). Praxeologische Perspektiven: Habitustheorie, dokumentarische Methode und Organisationskultur. In: Habituelle Konstruktion sozialer Differenz. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91120-5_4

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-91120-5_4

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

  • Print ISBN: 978-3-531-15932-4

  • Online ISBN: 978-3-531-91120-5

  • eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)

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