Auszug
Der in Deutschland geführte Einwanderungsdiskurs ist immer noch in einem hohen Maße bestimmt durch Klagen über mangelnde Deutschkenntnisse und andere Qualifikationsmängel bei Migrationsjugendlichen und ihren Familien, über Parallelgesellschaften und Gewaltbereitschaft sowie über Tendenzen von Traditionalismus und Frauenfeindlichkeit, die insbesondere muslimischen Einwandererfamilien zugeschrieben werden. Insofern dominiert ein defizitorientierter Blickwinkel die aktuellen Debatten über Migration (vgl. Hormel/Scherr 2005, S. 12 ff.; Rommelspacher 2002, S. 141 ff.; Farrokhzad 2002, S. 75 ff.). Dabei lässt sich bei genauerem Hinsehen feststellen, dass mit Blick auf die Bildungs- und Arbeitsmarktchancen von Jugendlichen, Frauen und Männern mit Migrationshintergrund in Deutschland in zweierlei Hinsicht ein immer dringender werdender Handlungsbedarf besteht: Auf der einen Seite gibt es, wenn man sich die alarmierenden Zahlen zur Schulbildung und zum Ausbildungsmarkt ansieht, tatsächlich eine im Vergleich zu deutschen Jugendlichen überproportional große Zahl Jugendlicher mit Migrationshintergrund, die aufgrund mangelnder Schulbildung bzw. mangelnder Schulabschlüsse kaum eine Chance auf eine halbwegs aussichtsreiche berufliche Zukunft haben. Diese große Gruppe von „Bildungsverlierer(inne)n“ mit Migrationshintergrund steht im Fokus öffentlicher Einwanderungsdebatten.1 Hierzu gehören nicht nur diejenigen ohne Schulabschluss und mit Sonderschulabschluss, sondern auch zunehmend diejenigen mit Hauptschulabschluss, wenn man bedenkt, dass Betriebe und Institutionen mittlerweile nur noch einem relativ geringen Teil der Hauptschulabsolvent/innen (mit und ohne Migrationshintergrund) einen betrieblichen Ausbildungsplatz zur Verfügung stellen (vgl. Boos- Nünning 2006, S. 16 ff. sowie den Beitrag von Boos-Nünning im vorliegenden Band).
Im Schuljahr 2004/2005 besuchten 36,2 % aller im Schulwesen befindlichen Migrationsjugendlichen eine Hauptschule, 17,5 % eine Realschule, 17,6 % ein Gymnasium und 12,6 % eine Gesamtschule, wobei die Mädchen prozentual etwas besser abschneiden als die Jungen, was übrigens auch in der deutschen Schülergruppe der Fall ist. Ungefähr so viele deutsche Jugendliche besuchen ein Gymnasium wie Migrantenjugendliche eine Hauptschule. Anteilig ungefähr doppelt so viele Migrationsjugendliche wie Deutsche besuchen eine Sonderschule. Diese Entwicklungen werden unter anderem darauf zurückgeführt, dass der Anteil der Migrationsjugendlichen aus Arbeiterfamilien im Durchschnitt weit höher liegt als derjenige der deutschen Jugendlichen. Somit ist die Repräsentanz der Migrationsjugendlichen im deutschen Schulsystem am ehesten mit derjenigen der deutschen Schülerschaft aus dem Arbeitermilieu vergleichbar. Dies unterstreicht, wie auch die PISA-Studien zeigten, die hohe soziale Selektivität im deutschen Schulsystem.
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Farrokhzad, S. (2008). Erfahrungen, Strategien und Potenziale von Akademikerinnen mit Migrationshintergrund. In: Hentges, G., Hinnenkamp, V., Zwengel, A. (eds) Migrations- und Integrationsforschung in der Diskussion. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91101-4_12
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