Auszug
Unter dem hochtrabenden Titel dieses Abschnitts verbirgt sich eine Annahme, die möglicherweise nicht von allen Soziologen geteilt wird. Denn — muss die Soziologie die Welt verstehen? Diese Frage gilt es unabhängig davon zu betrachten, ob die Erfolge der soziologischen Weltauslegung im Einzelnen einsichtig sind oder nicht. Und sie wird auch schon dadurch beantwortet, welche Annahmen über die Beschaffenheit des soziologischen Gegenstands gemacht werden. Wird die soziale Wirklichkeit etwa als ein sinnhafter Handlungszusammenhang, als ein sinnverarbeitendes System oder ein symbolischer Raum oder gar als ein Machtdiskurs aufgefasst, so ist die Soziologie, die ja ein gesellschaftliches Wissenssystem ist, als ein Teil dieser Sinnverarbeitung anzusehen — dies gehört seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts zur Grundausstattung des soziologischen Wissens (Mannheim 1969, Scheler 1980). Sinnverarbeitung bedeutet aber immer auch Auslegung, und Auslegung zielt auf Verständnis. Insofern hat die Soziologie in Bezug auf ihren Gegenstand keine Wahl — sie muss ihn verstehen. Das Gebot des auslegenden Zugangs zur sozialen Wirklichkeit ist somit keine Besonderheit »verstehender« Soziologie, sondern gilt als die Bedingung der Möglichkeit von Sozialwissenschaft generell.
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Srubar, I. (2008). Die pragmatische Lebenswelttheorie. In: Phänomenologie und Soziologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91037-6_3
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