Die Religiosität der Gesellschaft: Systemische und lebensweltliche Kontexte des spätmodernen „Zwangs zur Häresie“

Auszug

Der moderne Mensch, so Max Weber, habe der „Grundtatsache“ ins Auge zu sehen, „daß er in einer gottfremden, prophetenlosen Zeit zu leben das Schicksal hat“ (Weber 1991b: 269). In dieser Einschätzung kommt eine Sichtweise zum Ausdruck, die lange Zeit die Beschreibungen der Moderne prägte: Rationalisierung, Intellektualisierung, Entzauberung der Welt, und natürlich Säkularisierung gelten demnach als Megatrends der okzidentalen Moderne. Jüngst aber mehren sich die Stimmen, die diese Sichtweise zumindest insofern relativieren wollen, als auf dem Gebiet des Religiösen eine Wiederkehr oder nachgerade eine Renaissance des Religiösen zu verzeichnen sei — und zwar nicht nur als Fundamentalismus im außereuropäischen Raum, sondern inmitten einer eben nur scheinbar säkularisierten Moderne. Diese postsäkularen‘ Diagnosen haben ihre Berechtigung. Dennoch soll im Folgenden gezeigt werden, dass ein Großteil jener neu-religiösen Phänomene jedenfalls auf eines nicht verweisen: dass Webers These von der gottfremden Moderne keine Gültigkeit mehr hätte.