Auszug
Als gesellschaftlich eingeführt kann eine Problemwahrnehmung gelten, wenn sie — nicht ganz unabhängig von der Frage der staatlichen Anerkennung — in den Massenmedien mit Selbstverständlichkeit prozessiert wird (siehe dazu das folgende Kapitel 6) und wenn das ihr ideell zugrunde liegende Deutungsmuster zum allgemeinen Wissen der Mitglieder der Gesellschaft zu rechnen ist. Letzteres bedeutet auch, dass dem Problem zumindest in Teilen der Bevölkerung Wahrnehmungsund Handlungspriorität eingeräumt wird. Ob ein soziales Problem im Alltag diese doppelte Priorität erhält und ob es von den Massenmedien als soziale Realität inszeniert und verbreitet wird, hängt einerseits von inhaltlichen Merkmalen des Problemmusters, wie der inneren Kohärenz der Argumentationsstruktur oder der Anschlussfähigkeit an bereits anerkannte Wissensbestände, ab. Nach den Regeln der ökonomie der Aufmerksamkeit reicht dies aber nicht aus. Entscheidend ist vielmehr, ob es einer Problemwahrnehmung andererseits gelingt, die gesellschaftlichen Subjekte moralisch und auch emotional so zu adressieren, dass ihre Aufmerksamkeit und die Bereitschaft zum Handeln gleichsam erzwungen werden. Dies ist die Aufgabe von Diskursstrategien, spezifischen Techniken der Darstellung von Sachverhalten, welche die Problemwahrnehmung und die mit ihr verbundenen Handlungsanleitungen rhetorisch so absichern, dass es beim Subjekt erst gar nicht zu einem Abwägen kommt, ob ‚die Sache’ näherer Aufmerksamkeit und einen eigenen Ressourceneinsatz Wert ist: Bei der Rezeption muss das Individuum das Problemmuster fraglos in seinen aktiven Wissenskorpus aufnehmen und bei der späteren Identifizierung des Problems im Alltags dieses Muster ebenso fraglos exekutieren130. Alles dies gilt entsprechend auch für diejenigen Personen, die in den Massenmedien über die redaktionellen Inhalte entscheiden: Es muss ihnen geradezu als Selbstverständlichkeit erscheinen, das betreffenden Problem in der Berichterstattung und auch bei der Produktion fiktionaler Formate immer wieder zu berücksichtigen. Diskursstrategien sorgen also dafür, dass soziale Probleme im (alltäglichen wie massenmedialen) Kampf um Aufmerksamkeit bestehen (vgl. Hilgartner/Bosk 1988: 6).
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© 2008 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden
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(2008). Diskursstrategien: Erfolgsorientierte Zurichtung von Problemmustern. In: Empirische Analyse sozialer Probleme. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90937-0_12
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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