Auszug
Wie in zahlreichen anderen Politikfeldern, so hatte der Nationalsozialismus bei der Machtübernahme auch für die Kriminalpolitik1 kein detailliertes oder stringentes Programm vorliegen. Zwar riefen Reichsjustizministerium und NSDAP ab 1933 mehrere Kommissionen und Arbeitskreise ins Leben, die das Ziel einer systematischen Reform des materiellen Straf-, des Strafprozess- oder Jugendstrafrechts verfolgten (vgl. Gruchmann 1988, S. 753 ff., S. 931 ff., S. 980 ff.; Lüken 1988; Wolff 1992), die Pläne für umfassende Neukodifikationen wurden jedoch während des Zweiten Weltkrieges endgültig fallen gelassen. Die Neuausrichtung der Verbrechensbekämpfung erfolgte somit schrittweise, im Zuge von Teilreformen, die entscheidende Impulse auch aus den jeweils aktuellen Erfordernissen innerer Herrschaftssicherung bezogen (vgl. Gruchmann 1988, S. 752 f.; Wolff 1992, S. 168). Insofern lässt sich die Kriminalpolitik des NS-Regimes nicht einfach aus den vorliegenden Programmschriften ableiten, sondern wird erst im Zuge ihrer Realisierung greifbar, in den zentralen Gesetzgebungstexten wie in den Erlassen, Verordnungen oder Verfügungen, mit denen das Regime die Umsetzung vor Ort steuerte (vgl. Werle 1989, S. 45 ff.; Wolff 1992, S. 196 ff.).2
„Kriminalpolitik“ ist im Bezug auf das NS-System besonders schwer einzugrenzen, da Verbrechensbekämpfung während der 30er Jahre in eine Kontrollpolitik überging, die tendenziell jede Form dauerhafter sozialer Abweichung zu erfassen versuchte, zahlreiche Berührungspunkte zur politischen Verfolgung zeigte und aufgrund ihrer rassenpolitischen Stoßrichtung historiografisch nur schwer von der Vernichtungspolitik in den annektierten Gebieten abzutrennen ist. Wenn ich mich in der Folge dennoch auf die Praxis von Strafjustiz und Kriminalpolizei im eigentlichen Reichsgebiet beschränke, so, um der notwendigen Begrenzung des Themas zu entsprechen und den historischen Vergleich zu erleichtern.
Infolgedessen werde ich nicht explizit auf die Programmschriften und kriminalwissenschaftlichen Diskussionen der NS-Zeit eingehen. Bestimmte, in der Fachwissenschaft zwar lebhaft erörterte, für die Praxis aber eher unbedeutende Themen (wie das Willensstrafrecht oder die Unterscheidung von normativen und kriminologischen Tätertypen) finden daher keine Berücksichtigung.
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Roth, T. (2008). Kriminalpolitik im NS-System. In: Lange, HJ. (eds) Kriminal-politik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90894-6_4
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