Auszug
Mit den zuvor eingehend erläuterten Schlüsselbegriffen Berührung, Medium und Paarbeziehung liegen nun für die Diskussion der Ausgangsthese — Berührung werde als (Kommunikations-)Medium in Paarbeziehungen von der sozialwissenschaftlichen Forschung vernachlässigt — gleichsam auch drei Zugangswege vor: Nähert man sich der Ausgangsthese von Seiten der Berührung, begibt man sich erstens auf die Spurensuche einer Soziologie der Sinne und erkundet den Raum, den das haptisch-taktile Erleben dort im Vergleich zu anderen Sinnesmodalitäten (Sehen, Hören, Riechen usw.) einnimmt (Kapitel I 2.1).
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Literatur
Wie von Bärlösius (2000: 22) ausgeführt, begründet Simmel seine Differenz zwischen den höheren Sinnen Auge — Ohr und dem Geruch als einem der niederen Sinne zwar auch mit der grö-ßeren Abstraktions-bzw. Versprachlichungsleistung (was einer langen philosophischen Tradition entspricht), dies scheint m. E. aber nicht das Hauptkriterium seiner Rangordnung zu sein.
Im Teilkapitel „Sprache“ seines Werkes: Gesellschaft der Gesellschaft (1997) führt Luhmann aus, warum sich seine systemtheoretische Betrachtung von Gesellschaft nur auf (verbale) „Sprache“ bezieht: „Das grundlegende Kommunikationsmedium, das die reguläre, mit Fortsetzung rechnende Autopoiesis der Gesellschaft garantiert, ist die Sprache. Zwar gibt es durchaus sprachlose Kommunikation — seies mit Hilfe von Gesten, sei es ablesbar an schlichtem Verhalten, zum Beispiel am Umgang mit Dingen, mag dies nun als Kommunikation gemeint gewesen sein oder nicht. Man kann sich schon fragen, ob es solche Kommunikation geben, das heißt: ob man einen Unterschied von Mitteilungsverhalten und Information überhaupt beobachten könnte, wenn es keine Sprache, also keine Erfahrung mit Sprache gäbe. Außerdem ist interpretierbares Verhalten immer so situationsspezifisch bestimmt, daß kaum Spielraum besteht für eine Differenzierung von Medium und Form; genau das leistet aber die Sprache. Jedenfalls ist die Autopoiesis eines Kommunikationssystems, die ja reguläre Aussicht auf weitere Kommunikation voraussetzt, ohne Sprache unmöglich, obgleich sie, wenn ermöglicht sprachlose Kommunikation zuläßt“ (Luhmann 1997: 205f.).
Vgl. Luhmann (1997: 634ff.).
Zur Entstehungsgeschichte bzw. Definitionsproblematik des Begriffes „Nonverbaler Kommunikation“ vgl. Kühn (2002: 38ff).
Einen (unvollständigen) Überblick über die zahlreichen Belegstudien liefern Crusco & Wetzel (1999: 211f.): „Tactile contact has increased positive affect or liking ratings of another. (Alagna, Whitcher & Fisher, 1979; Fisher, Rytting & Heslin, 1976; Florez & Goldman, 1982; Hubble, Noble, & Robinson, 1981; Jourad & Friedman, 1970; Siverthorne, Noreen, Hunt, & Rota, 1972; Whitcher & Fisher, 1979); it has influenced the purchasing behavior of shoppers (Smith, Gier, Willis, 1982); and it has increased compliance to legitimate requests“ (Kleinke, 1977).
Wie vonGuerrero & Andersen (2005: 84) ausgeführt, besitzt dieser tagebuchartige Untersuchungstyp gegenüber retrospektiven Self-Report-Verfahren wie der von Jourard (1966) erstmals verwendeten „Body Accessibility Measure“, dann nachweisbare methodische Vorteile, wenn die möglichst „unverzerrte Wiedergabe“ des „actual touch behavior“ im Zentrum des Interesses steht und nicht „touch attitudes and other internal cognitive states“. Aufgrund des immensen Aufwandes für die Befragten ist dieses Verfahren jedoch nur bei kleineren Probandengruppen und nicht in allgemeinen Bevölkerungsumfragen (wie für die vorliegende soziologische Untersuchung unabdingbar) einsetzbar.
Die These des gesellschaftlich gewachsenen Stellenwertes persönlicher Beziehungen, und insbesondere der Paarbeziehung, wird in der soziologischen Debatte — mit abweichenden Begründungen — seit Jahren breit vertreten; vgl. u. a. Beck & Beck-Gernsheim (1990: 71): „Je mehr andere Be züge der Stabilität entfallen, desto mehr richten wir unser Bedürfnis, unserem Leben Sinn und Verankerung zu geben, auf die Zweierbeziehung.“
Vgl. auch die von Sternberg später entwickelte „Love scale“ aus dem Jahre 1997; Zusammenfassung in Grau (2003: 302).
Aus dem Umstand, daß die Nähe-Empfindung bei Erwachsenen auch bei Absenzen der nahestehenden Person fortbesteht, darf meines Erachtens nicht vorschnell auf ein geringeres Gewicht der situativ stattfindenden intimen Interaktionen geschlossen werden. Wie z. B. die Analyse von Konfliktauslösern zeigt, sind es gerade mißglückte Partner-Interaktionen (ein unpassend erscheinendes Wort, aber auch Unterschiede im körperlichen Nähe-Bedürfnis der Partner/innen; vgl. Grau 2003: 304), die die PBz-Zufriedenheit reduzieren.
In soziologischen Partnerwahltheorien ist der Aspekt des Körperkontaktes faktisch ohne Belang, obwohl z. B. die Untersuchung sich verändernder Geschlechtsrollen bei der Initiierung der ersten Berührung eine m. E. genuin soziologische Fragestellung darstellt. Im Zentrum soziologischer Partnerwahltheorien stehen vielmehr sozialstrukturelle oder soziodemographische Entstehungsfaktoren von PBzen (vgl. Kapitel II5. 3).
Einen guten Überblick über den Forschungsstand zu „Interaktion in der Familie“ liefernHill & Kopp (2002: 218ff.).
Detaillierter, aber in identischer Lesart, beschreibt Wimbauer (2003: 89–93) Webers und Simmeis Stellungnahmen zum Phänomen der Liebe.
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(2008). Sozialwissenschaftlicher Forschungsstand zu den Themen Berührung und Paarbeziehung. In: Alltagsberührungen in Paarbeziehungen. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90884-7_3
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