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Auszug

Die Frage nach der Rolle von Verbänden und der Legitimität ihres Einflusses ist so alt wie die politikwissenschaftliche Forschung in der Bundesrepublik (Bleek 2001: 297). Theodor Eschenburg (1955), einer der Gründerväter der deutschen Politikwissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, stellt in einer 1955 erschienenen Monographie die Frage, inwieweit das politische System Deutschlands von einer „Herrschaft der Verbände“ gekennzeichnet sei, und beschreibt die verbandliche Durchdringung der Politik in der Bundesrepublik. Seitdem ist die Frage nach der verbandlichen Einfluß in politischen Entscheidungsprozessen immer wieder unter den unterschiedlichsten Gesichtspunkten und angesichts vielfältiger politischer Rahmenbedingungen neu erörtert worden und gehört mittlerweile zu einer der klassischen Fragestellungen der Politikwissenschaft, die sie vorwiegend unter demokratietheoretischen wie steuerungstheoretischen Aspekten erörtert. Mit dem Bedeutungszuwachs der Europäischen Union (EU)2 stellt sich die vormals ausschließlich für die nationale Ebene diskutierte Frage nach dem Ausmaß verbandlicher Aktivitäten und verbandlichen Einflusses in zunehmendem Maße auch für Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene.

Die in dieser Arbeit verwendete Rechtschreibung greift auf das Regelwerk zurück, das vor dem ersten Reformversuch 1996 in Kraft gewesen ist. Bei zitierten Textstellen ist die jeweils verwendete Rechtschreibung beibehalten worden.

Bei der Europäischen Union (EU) handelt es sich um ein institutionelles Gebilde, das im Laufe der Zeit häufigen Veränderungen seiner Institutionen unterzogen wurde. Diese Veränderungen umfaßten sowohl die Mitgliedschaft in der Union und ihre vertraglichen Grundlagen als auch die Zusammensetzung und die Kompetenzen ihrer einzelnen Organe, die auch „Gemeinschaftsorgane“ genannt werden. Zur Vereinfachung verwendet diese Arbeit den Begriff Europäische Union (EU) generell für das gesamte Institutionengefüge auf europäischer Ebene und schließt dadurch mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) beziehungsweise der Europäischen Gemeinschaft (EG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG oder auch EURATOM) nicht nur die institutionellen Vorstufen der EU in die Bezeichnung mit ein, sondern bezieht sich in gleicher Weise auch auf die drei die Europäischen Gemeinschaften (EG) bildende erste Säule der EU, d.h. die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) beziehungsweise Europäische Gemeinschaft (EG), die mittlerweile in der EG aufgegangene Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) sowie die Europäische Atomgemeinschaft (EAG oder EURATOM), sofern keine dieser Institutionen explizit benannt werden. Ein kurzer historischer Abriß, der auch alle institutionellen Vorstufen der EU und deren heutige institutionelle Ausdifferenzierung beleuchtet, findet sich in Kapitel 3.1.1 dieser Arbeit. Da sich die Untersuchung auf eine Analyse europäischer Gesetzgebungsprozesse und somit auf Verfahren innerhalb der ersten Säule der EU konzentriert, werden die Institutionen und Verfahrensabläufe innerhalb der zweiten und dritten Säule in dieser Untersuchung vernachlässigt. Die Angaben zu dem institutionellen Gefüge der EU und den europäischen Gesetzgebungsverfahren spiegeln den Stand zum Zeitpunkt der Verabschiedung der in dieser Arbeit analysierten Richtlinie im Frühjahr 2005 wider und berücksichtigen somit beispielsweise die erhöhte Zahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments oder die veränderten Mehrheitserfordernisse im Ministerrat infolge der Osterweiterung am 1. Mai 2004, nehmen jedoch keinen Bezug auf den EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum 1. Januar 2007 sowie auf die geplante Europäische Verfassung, da deren Ratifizierung in der vom Europäischen Rat am 18. Juni 2004 beschlossenen Fassung bei Abschluß dieser Arbeit im Herbst 2006 nach den negativen Referenda in Frankreich und den Niederlanden im Frühjahr 2005 weiterhin ungewiß ist (Kapitel 3.1.1). Entsprechend geben auch die Deskriptionen des britischen (Kapitel 3.2) und des deutschen Regierungssystems (Kapitel 3.3) den Stand bei Verabschiedung der Untersuchungsrichtlinie wieder, so daß bspw. im deutschen Fall die umfangreichen Änderungen des Grundgesetzes im Zuge der Föderalismusreform (Fn. 180) zum 1. September 2006 nicht berücksichtigt worden sind.

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References

  1. Die zunehmende Kompetenzverlagerung auf die europäische Ebene wird auch durch empirisch-quantitative Untersuchungen bestätigt. In einer bis zum Jahr 1990 reichenden Auswertung europäischer, deutscher, französischer, britischer und italienischer Gesetzgebung attestieren Marianne Beisheim et al. (1999: 327–330) beispielsweise eine deutliche quantitative Zunahme europäischer Gesetzgebung seit den 1960er Jahren, der jedoch keine äquivalente Zunahme nationaler Gesetzgebung gegenüberstünde. Da vielmehr europäische Richtlinien durch nationale Gesetzgebungsakte umgesetzt werden müßten, könne gar von einer Reduktion originär nationalstaatlicher Gesetzgebungsaktivitäten ausgegangen werden, zumal die Auswertung mit dem Jahr 1990 endet und sich das Zahlenverhältnis zwischen europäischer und genuin nationalstaatlicher Gesetzgebung seitdem im Zuge der Gründung der EU noch weiter zugunsten der europäischen Ebene entwickelt haben dürfte.

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  2. Eine vergleichbares Untersuchungsdesign legt Pieter Bouwen (2002: 366) seiner Analyse des Direktlobbyings von Großunternehmen gegenüber europäischen Institutionen zugrunde: „Instead of focusing on influence, as traditional lobbying research tends to do, the access of business interests to the EU institutions is studied.“

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  3. Der Begriff „Lobby“ leitet sich aus dem lateinischen Wort „lobium“ ab, das einen Klostergang bezeichnet (Hierlemann 2005: 55). Die Begriffsentstehung wird in der Literatur häufig auf den Vorraum des britischen Parlaments zurückgeführt, in dem Interessenvertreter auf Parlamentarier treffen und versuchen, diese in persönlichen Gesprächen von ihren Belangen zu überzeugen. Anderen Angaben zufolge lasse sich der Wortursprung jedoch in die USA zurückverfolgen, wobei der genuine Bezugspunkt des Begriffes variiert (Breitling 1985: 33–37; Hierlemann 2005: 55; Schendelen 1993a: 64).

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  4. Problematischist bei diesen Arbeiten zum Teil, daß sie sich zwar auf einen Ausschnitt der Interessenvermittlungsprozesse in der EU konzentrieren, aus ihren Analyseergebnissen aber mitunter Generalisierungen für das gesamte Interessenvermittlungssystem der EU als solches ableiten. „Es überrascht daher wenig“, wie Rainer Eising (2004a: 495) schreibt, „dass die Befunde [unterschiedlicher Untersuchungen] jeweils Erklärungsfaktoren hervorheben, die auf einer einzigen Analyseebene angesiedelt sind.“

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  5. Gerald Schneider und Konstantin Baltz (2003: 202) erkennen in einer dieser Veröffentlichungen zwar auch die Wichtigkeit supranationaler Lobbyingbemühungen im europäischen Interessenvermittlungsprozeß an, betrachten jedoch den EU-Ministerrat als „nach wie vor einflußreichsten Akteur in der EU-Gesetzgebung“ (Dobbins/ Drüner/ Schneider 2004: 52). Dieser Feststellung ist unter Vorwegnahme der in Kapitel 3.1.3 und 3.1.5 zu diskutierenden simultanen Bedeutung der nationalen und der supranationalen Ebene in europäischen Politikformulierungs-und Interessenvermittlungsprozessen allerdings zu widersprechen. Wissenschaftliche Untersuchungen, die sich auf das Zustandekommen der nationalen Verhandlungspositionen im Ministerrat konzentrieren, sind zwar zweifelsohne von großem wissenschaftlichem Interesse, man muß sich jedoch ihrer einseitigen Konzentration auf die nationale Ebene und der entsprechenden Begrenztheit ihrer Aussagekraft bewußt sein, wie auch Jan Beyers (2002a: 599–600) hervorhebt: „Strategies that exclusively concentrate on Council decision making processes, via national governmental actors, are possibly somewhat one-sided and probably less successful. Council decision making is only one of the many stages in the policy-making process in which other institutions (in particular, the European Parliament and the European Commission) play a formative role, often at an early stage.“

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© 2008 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden

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(2008). Einleitung: Zur Rolle von Verbänden in der Politik. In: Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbände im Mehrebenensystem. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90840-3_1

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-90840-3_1

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften

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  • Online ISBN: 978-3-531-90840-3

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