Auszug
Das folgende Kapitel gilt den psychischen Kosten professioneller Lehrertätigkeit. Ich sehe sie im ursächlichen Zusammenhang mit unzureichenden Berufsselbstverständnissen vieler Lehrer und mit Verkürzungen im Bereich der Erziehungswissenschaft selbst, die dann den öffentlich verbreiteten Fehleinschätzungen wenig entgegen zu setzen hat — wenn nicht gar Vorschub leistet.
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References
Helmut Reiser (2005, 6ff) arbeitet die Problematik der psychoanalytischen Triebtheorie für das Verhältnis von Pädagogik und Psychoanalyse heraus. Für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts stellt er fest, „dass die damalige Pädagogik auch wenig Veranlassung hatte, ihr Selbstverständnis auf der Psychoanalyse aufzubauen. Die Vorstellung, dass sich alle Antriebskräfte des Kindes aus libidinösen oder aggressiven Trieben entwickeln … war der Pädagogik aus guten Gründen nicht zu vermitteln.“ (9)
„Wenn wir uns Freuds ethischer Einstellung zuwenden, können wir sagen, dass seine Ethik vor allem eine Ethik der Wahrheit war.“ (Kohut 1987, 88)
Der Begriff ist nur eingeschränkt tauglich, weil das Kind im „Spiegel“ zugleich zunehmend die Andersheit des „Spiegelnden“ in seiner Wertschätzung wahrnimmt (vgl. Tomasello 2002). Schlie\lich nimmt das Kind im spiegelnden Gegenüber dessen Zuwendung auch darin wahr, dass dieses Werdemöglichkeiten des Kindes antizipiert und deshalb spontane Bedürfnisse auch frustriert.
„Grö\enwahnhafte“ Tendenzen sind — als verdrängte — unbewusst. Ihre äu\erungsformen im manifesten Verhalten können sehr vielfältig sein. Kohut unterscheidet vertikale von horizontalen Spaltungen. Krankhaft-arrogante Selbstüberschätzung ist ebenso möglich wie zwanghaftgeltungsbedürftiges Verhalten. Die Störungen können bei vertikaler Spaltung durchaus auch Tendenzen der Selbstabwertung usw. annehmen. Der „Grö\enwahn“ bei offenkundiger Selbstabwertung zeigt sich in den unerfüllbaren Ansprüchen, die das Subjekt unbewusst an sich stellt (Kohut 1973).
Ich sehe keine prinzipiellen Schwierigkeiten, die Erkenntnisse der neueren Säuglingsbzw. Kleinkindforschung, wie sie etwa Daniel Stern (1979, 1991) vorgelegt hat (Dornes 1993) mit Kohuts Sichtweise abzugleichen.
Altmeyers dezidierte Kohut-Kritik (160) kann ich übergehen. Sie erscheint mir auf einem Fehlverständnis zu beruhen. ähnliches gilt für die ansonsten instruktive Studie von Eagle 1988.
Letzteres wird auffallend selten gesehen. So geht etwa Christian Caselmann (1964) von einer „Doppelpoligkeit des Lehrertums“ aus und kommt auf die beiden Grundtypen des logotropen und des paidotropen Lehrers: „Tätigkeit und Wirkung ist bei den Logotropen und den Paidotropen ziemlich gleich, aber der Ausgangspunkt und das Ziel sind verschieden. Die Logotropen kommen von der Sache her und wollen die Sache durch die Jugend weiter überliefert und gefördert haben. Die Paidotropen gehen vom Interesse für den Jugendlichen aus und sehen als Ziel den gebildeten Menschen“ (54), vgl. Soretz 2003, 191–212. Caselmanns Unterscheidung belässt beide Grundtypen im Bereich angemessenen Lehrerhandelns. Das pädagogische Ethos, das er beiden nachsagt, macht es überflüssig, die Möglichkeit narzisstischer Störungen in Betracht zu ziehen.
Otto F. Kernberg meint mit seiner oben erwähnten „Fähigkeit zur Herstellung und Aufrechterhaltung intensiver Objektbeziehungen“, die er für den Leiter von Gruppen fordert, was dem eitlen Pädagogen fehlt.
Ein älteres Beispiel hierfür ist die Wirkung von Oskar Negts pseudo-entparadoxierendem Selbstregulierungs-Konzept auf die öffentliche Diskussion unter politisch gesonnenen Reformpädagogen, die deren von den Lehrern betriebene Umsetzungsversuche an der Glocksee-Schule selbst um Jahre überdauerte (Ilien 1990).
Ungefähr zeitgleich erscheinen die gesellschaftsstheoretisch wichtigen Arbeiten von, Luhmann (1984), Habermas (1985) und Beck (1986), die auf je ihre Weise auf die Unsteuerbarkeit gesellschaftlicher Evolution, neuere Utopieverluste oder den Risikocharakter der Zweiten Moderne aufmerksam machen.
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© 2008 VS Verlag für Sozialwissensschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden
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(2008). Psychische Kosten des Lehrerhandelns. In: Lehrerprofession. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90835-9_4
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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Online ISBN: 978-3-531-90835-9
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