Auszug
Für den radikalen Islamismus ist das westliche liberale System ein System der Dekadenz, das aufgrund seiner verrotteten Prinzipien unausweichlich dem Untergang geweiht ist. Was fällt, das soll man, nach dem Nietzsche-Wort, auch noch stoßen, und so kann man den Untergang auf vielfache Weise beschleunigen, z.B. durch allgemeine Verunsicherung mittels unkalkulierbarer terroristischer Akte oder, raffinierter noch, durch den Gebrauch liberaler Grundsätze in zerstörerischer Absicht, beispielsweise in Verwendung rechtsstaatlicher Instrumente mit dem Ziel, den Rechtsstaat zu unterlaufen. Nachdem die westliche Demokratie ihre beiden großen totalitären Herausforderer, Kommunismus und Faschismus, überwunden hat, indem sie sich als wehrhafte Demokratie reorganisierte, ist ihr im fundamentalistischen Islam wieder ein Gegner erwachsen, der auf ihre Grundlagen zielt. Es geht nicht um eine Staatsform, sondern um eine Lebensform. In Frage stehen nicht Institutionen, sondern Prinzipien, und es ist des Nachdenkens wert, ob die Wehrhaftigkeit der westlichen Demokratie sich auch auf eben diese Prinzipien erstreckt oder ob sie sich auf juristischinstitutionelle Vorkehrungen verlässt, welche nur beschränkt Schutz gewähren, sofern man sich rechtsstaatlicher Mimikry bedient.
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Literatur
Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, vn3. Teil, 20, in: G. Colli, M. Montinari, Kritische Gesamtausgabe Werke, VI, 1, Berlin 1968, S. 257.
S. die Menschenrechtskritik von Karl Marx in der Schrift: Zur Judenfrage, in: Karl Marx Friedrich Engels Gesamtausgabe (MEGA), 1. Abt., Bd. 2, Berlin 1982, S. 155ff.
Friedrich August von Hayek, Die Verfassung der Freiheit, Göttingen 1971, S. 3. Ob das Hayeksche Buch allerdings das bisher vermisste Gründungsdokument darstellt, ist fraglich, stellt es doch nur eine von einer Vielzahl möglicher Deutungen des Liberalismus dar.
Carl Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, Berlin 61985, S. 45.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Hamburg 41962, § 188, S. 169.
Donoso Cortés, Der Staat Gottes. Eine katholische Geschichtsphilosophie, Karlsruhe 1933, S. 194.
Einen guten Überblick über die hier vertretenen Positionen geben z. B. Axel Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Gesellschaften, Frankfurt/New York 1993 und Christel Zahlmann (Hrsg.), Kommunitarismus in der Diskussion. Eine streitbare Einführung, Berlin 21997.
Zum Zusammenhang beider Bereiche s. den Artikel über Adam Smith von Hendrik Hansen in: Manfred Brocker (Hrsg.), Geschichte des politischen Denkens, Frankfurt a. M. 2007, S. 318–333. Hier wird ebenfalls ausgeführt, daß Smith die Volkswirtschaftslehre ihrerseits als Teil der Staatswissenschaft und nicht als eigenständige Wissenschaft betrachtete.
Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, München 1974, S. 17.
Ebd., S. 48f.
Vgl. Adam Smith, Theorie der ethischen Gefühle, Hamburg 1994, S. 2ff.
Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Stuttgart 1982, S. 40.
Immanuel Kant, Idee zu einer Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, in: Schriften zur Geschichtsphilosophie, Stuttgart 1999, S. 22.
John Locke, Zwei Abhandlungen über die Regierung, Frankfurt a. M. 1992, S. 203.
Jean-Jacques Rousseau, Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen, Stuttgart 1995, S. 63f.
Otfried Höffe, Demokratie im Zeitalter der Globalisierung, München 1999, S. 190ff.
Alexander Hamilton, James Madison, John Jay, Die Federalist Papers, München 2007, S. 342.
Thomas Hobbes, Leviathan, Frankfurt a. M. 41991, S. 135. Ob Hobbes und Rousseau allerdings überhaupt der liberalen Theorie zuzurechnen sind, ist umstritten. Sieht man in Hobbes den Apologeten des Absolutismus und in Rousseau den des Kollektivismus, so zeigt sich auf der anderen Seite die Ambivalenz des für den Liberalismus so wichtigen Vertragsmodells.
Wilhelm von Humboldt, Idee zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, Stuttgart 1987, S. 22ff.
Wilhelm von Humboldt, Über die innere und äußere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin, in: Schriften zur Politik und zum Bildungswesen, Darmstadt 62002, S, 256.
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Zehnpfennig, B. (2007). Liberale Aporien. In: Patzelt, W.J., Sebaldt, M., Kranenpohl, U. (eds) Res publica semper reformanda. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90763-5_8
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