Auszug
Die Ehe bildete ein zentrales Objekt staatlicher Bevölkerungspolitik in Deutschland. Als wichtig galten traditionell Vorschriften zur Förderung und insbesondere Beschränkung von Eheschließungen.1 Im Verlauf des 19. Jahrhunderts hoben die deutschen Staaten zahlreiche, vor allem auf ökonomischen Überlegungen basierende Heiratshindernisse und -verbote auf. Das den Bereich zusammenfassend regelnde Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) von 1900 enthielt demnach nur noch vergleichsweise wenige Vorschriften dieser Art.2 Während des Entstehungsprozesses der Zivilrechtskodifikation waren auch Stimmen aus der gerichtlichen Medizin laut geworden, die sich für weitergehende Einschränkungen mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand der Eheleute ausgesprochen hatten, um eine „Degeneration der Race“3 zu verhindern. Während diese Überlegungen bei den Beratungen Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr als eine Außenseiterrolle spielten, gewann die Frage von Gesundheit bzw. Krankheit Heiratswilliger und daran eventuell zu knüpfende Rechtsfolgen für die Eheschließung in den nachfolgenden Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung. Schließlich bildete sie in der Weimarer Republik einen zentralen Gegenstand bevölkerungspolitischer Auseinandersetzungen. Weil im Ersten Weltkrieg „eine ungeheure Zahl gesunder und daher für die Zeugung wertvoller Männer verloren gegangen“ sei, kam der „Erzeugung einer gesundheitlich gutbeschaffenen Nachkommenschaft“ besondere Bedeutung zu, wie der Reichsgesundheitsrat 1920 feststellte.4
Vgl. Fuhrmann 2002.
Überblick bei Duncker 2003, 1006-1010; Czarnowski 1991, 67f.
Zit. nach: Zusammenstellung 1967, 18.
Leitsätze des Reichsgesundheitsrates vom 26.2.1920, abgedruckt in Saretzki 2000, 324f, hier 324. Zum vorangehenden Zeitraum Möller 2005.
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Literatur
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Kesper-Biermann, S. (2007). „Ehegesundheit“ als bevölkerungspolitisches Problem. Internationale Dimensionen von Diskussion und Gesetzgebung in der Weimarer Republik. In: Ehmer, J., Ferdinand, U., Reulecke, J. (eds) Herausforderung Bevölkerung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90653-9_11
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