Auszug
Das deutsche Parteiensystem, wie es sich im 19. Jahrhundert allmählich entwickelte, im Kaiserreich seine Ausprägung erfuhr und mit geringen Änderungen in der Weimarer Republik weiterbestand, ist bekanntlich aus den großen weltanschaulichen Bewegungen des Liberalismus und Konservatismus erwachsen.1 Diese waren ihrerseits ein Produkt des Zeitalters von Aufklärung und (Französischer) Revolution. Aus ihrem ideenpolitischen Wurzelgrund sind schon die Fraktionsbildungen in der Paulskirche und in den einzelstaatlichen Parlamenten hervorgegangen, also lange bevor von „Parteien“ im modernen Wortsinn mit beitragszahlendem Mitgliederstamm, reichs- oder zumindest landesweiter bürokratischer Organisation und der Fähigkeit zur Beeinflussung der „staatliche [n] und öffentliche [n] Willensbildung“ die Rede sein konnte.2 Schon im Vormärz lässt sich das politische Spektrum weiter differenzieren, und zwar in fünf politische Grundrichtungen, die durch Teilung, Abspaltung oder durch Reaktion auf bestimmte gesellschaftliche Herausforderungen entstanden sind: eine monarchisch-konservative, eine liberale, eine demokratischradikale und eine sozialistische Richtung. Hinzu trat seit etwa Ende der 1830er-Jahre als fünfte der „politische“ (oder sollte man sagen: „politisierte“?) Katholizismus, der sich in Reaktion auf massive Herausforderungen der katholischen Kirche durch das spätabsolutistische Preußen herausgebildet hatte.3 Dieses parteipolitische Fünferschema hat noch die Wahlen der Weimarer Republik bestimmt, sofern man nicht durch das Anwachsen der Extreme auf der Linken und Rechten ein Siebenerschema unterlegen will, also unter Hinzuziehung der Kommunisten und Nationalsozialisten.4
Den folgenden Ausführungen liegt ein Vortrag zugrunde, der anlässlich der Tagung „Selbstverständnis und Auftrag — 60 Jahre ‘C’ in Namen und Programm der CSU“ am 1. Dezember 2005 in München gehalten wurde. Die Anmerkungen beschränken sich auf Zitatnachweise und wenige Angaben zu weiterführender Literatur.
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Literatur
Aus der Vielzahl einschlägiger Titel seien zu rascher Orientierung hier lediglich genannt: Ritter, Gerhard A.: Die deutschen Parteien 1830–1914. Parteien und Gesellschaft im konstitutionellen Regierungssystem, Göttingen 1985; Fenske, Hans: Deutsche Parteiengeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Paderborn u.a. 1994.
So Langewiesche, Dieter: Die Anfänge der deutschen Parteien. Partei, Fraktion und Verein in der Revolution von 1848/49, in: Geschichte und Gesellschaft 4/1978, S.324–361, Zitat S.325.
Als ersten Überblick vgl. Hehl, Ulrich von: Die Zentrumspartei — Ihr Weg vom „Reichsfeind“ zur parlamentarischen Schlüsselstellung in Kaiserreich und Republik, in: Hermann W. von der Dunk/ Horst Lademacher (Hrsg.), Auf dem Weg zum modernen Parteienstaat, Melsungen 1986, S.97–120.
Eine anschauliche graphische Verdeutlichung bei Dederke, Karlheinz: Reich und Republik. Deutschland 1917–1933, 5. Aufl., Stuttgart 1984, S.308.
Rede in der 23. Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses, 30. Januar 1872. Hier zitiert nach: Bismarck, Otto von: Werke in Auswahl, 5. Bd.: Reichsgestaltung und europäische Friedenswahrung, I. Teil: 1871–1876, hrsg. von Alfred Milatz, Darmstadt 1973, S.147–156, Zitat S.148.
Als Überblick wie abgewogene Wertung gleichermaßen beispielhaft Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie, München 1992, S.364–381.
Zu Windthorst grundlegend Anderson, Margaret L.: Windthorst. Zentrumspolitiker und Gegenspieler Bismarcks, Düsseldorf 1988 (amerikanische Erstausgabe 1981); Aschoff, Hans-Georg: Rechtsstaatlichkeit und Emanzipation. Das politische Wirken Ludwig Windthorsts, Sögel 1988.
So_auch Maier, Hans: Herkunft und Grundlagen der christlichen Demokratie, in: Ders., Kirche und Gesellschaft, München 1972, S.135–158, hier S.152.
Ruppert, Karsten: Der Einflußchristlich-demokratischer wie christlich-sozialer Ideen und Parteien auf Geist und Politik in der Weimarer Zeit, in: Winfried Becker/ Rudolf Morsey (Hrsg.), Christliche Demokratie in Europa. Grundlagen und Entwicklungen seit dem 19. Jahrhundert, Köln/Wien 1988, S.129–152, hier S.137.
In: Historisch-Politische Blätter 137/I (1906), S.376–386.
Die Rede ist abgedruckt in: Stehkämper, Hugo: Konrad Adenauer als Katholikentagspräsident 1922. Form und Grenze politischer Entscheidungsfreiheit im katholischen Raum (= Adenauer-Studien IV, hrsg. von Rudolf Morsey und Konrad Repgen), Mainz 1977, S.92–101, Zitat S.97.
Vgl. zum Folgenden Nowak, Kurt: Evangelische Kirche und Weimarer Republik. Zum politischen Weg des deutschen Protestantismus zwischen 1918 und 1932, Göttingen 1981.
Ruppert, K.: Der Einfluß christlich-demokratischer wie christlich-sozialer Ideen, S.129.
Vgl. hierzu den freilich noch unter marxistisch-leninistischer Perspektive verfassten Beitrag von Fahlbusch, Lutz/ Methfessel, Werner: Christlich-Sozialer Volksdienst (CSVD) 1929–1933, in: Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789–1945), Bd. 1, Leipzig/Köln 1983, S.464–470; ferner die ältere Darstellung von Opitz, Günter: Der Christlich-soziale Volksdienst. Versuch einer protestantischen Partei in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1969.
Ruppert, K.: Der Einfluß christlich-demokratischer wie christlich-sozialer Ideen, S.131.
Hierzu grundlegend Morsey, Rudolf: Die Deutsche Zentrumspartei 1917–1923, Düsseldorf 1966; ferner Hehl, Ulrich von: Wilhelm Marx 1863–1946. Eine politische Biographie, Mainz 1987; als überblicksdarstellung vgl. auch Elvert, Jürgen: Gesellschaftlicher Mikrokosmos oder Mehrheitsbeschaffer im Reichstag? Das Zentrum 1918–1933, in: Michael Gehler u.a. (Hrsg.), Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert, Wien/Köln/Weimar 2001, S.160–180.
Die Rede ist abgedruckt in: Stehkämper, H.: Konrad Adenauer als Katholikentagspräsident 1922, S.92–101, Zitat S.97; zu Faulhaber vgl. auch Volk, Ludwig (Bearb.): Akten Kardinal Michael von Faulhabers 1917–1945, Bd.1: 1917–1934, Mainz 1975, S.278f., Anm.3.
Vgl. Stehlin, Stewart A.: Weimar and the Vatican 1919–1933. German-Vatican Diplomatic Relations in the Interwar Years, Princeton/New Jersey 1983.
Hierzu Schönhoven, Klaus: Die Bayerische Volkspartei 1924–1932, Düsseldorf 1972, S.17–50.
Vgl. Fritsch, Werner: Christlich-Soziale Reichspartei (CSRP) 1920–1933, in: Lexikon zur Parteiengeschichte. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland (1789–1945), Bd.1, Leipzig/Köln 1983, S.455–463.
Ruppert, K.: Der Einfluß christlich-demokratischer wie christlich-sozialer Ideen, S.131.
Vgl. hierzu auch Becker, Winfried (Hrsg.): Die Minderheit als Mitte. Die Deutsche Zentrumspartei in der Innenpolitik des Reiches 1871–1933, Paderborn u.a. 1986; Ruppert, Karsten: Im Dienst am Staat von Weimar. Das Zentrum als regierende Partei in der Weimarer Demokratie 1923–1930, Düsseldorf 1992.
Hehl, U.v.: Wilhelm Marx 1863–1946, S.165.
Vgl. Weber, Max: Politik als Beruf, in: Ders., Gesammelte politische Schriften, hrsg. von Johannes Winckelmann, 2. erweiterte Aufl., Tübingen 1958, S.493–548.
Hehl, U.v.: Wilhelm Marx 1863–1946, passim.
Ebd., S.335–351.
Hier zitiert nach Ruppert, K.: Der Einfluß christlich-demokratischer wie christlich-sozialer Ideen, S.137.
Vgl. zum Folgenden die zeitgenössischen Selbsteinschätzungen bei Schulte, Karl Anton (Hrsg.): Nationale Arbeit. Das Zentrum und sein Wirken in der deutschen Republik, Berlin/Leipzig [1929].
Mockenhaupt, Hubert: Heinrich Brauns (1868–1939), in: Rudolf Morsey (Hrsg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 20. Jahrhunderts, Mainz 1973, S.148–159 u. S.304f.; Ders. (Hrsg.): Grundlinien katholischer Sozialpolitik im 20. Jahrhundert. Ausgewählte Aufsätze und Reden von Heinrich Brauns, Mainz 1976.
Hehl, U.v.: Wilhelm Marx 1863–1946, S.422–428.
Ruppert, K.: Der Einflualer Ideen, S.151.
Besonders auffällig bei Begrifflichkeit und Inhalt von Helene Webers Beitrag „Kulturpolitik“, in: K.A. Schulte (Hrsg.), Nationale Arbeit, S.235–257.
Beste Darstellung von Leben und Werk bei Schwarz, Hans-Peter: Adenauer, 2 Bde., Bd.1: Der Aufstieg: 1876–1952, Bd.2: Der Staatsmann: 1952–1967, Stuttgart 1986/91.
Vgl. hierzu auch die einschlägigen Beiträge in: Hehl, Ulrich von (Hrsg.): Adenauer und die Kirchen, Bonn 1999.
Becker, Winfried: CDU und CSU 1945–1950. Vorläufer, Gründung und regionale Entwicklung bis zum Entstehen der CDU-Bundespartei, Mainz 1987, hier S.77.
Adenauer, Konrad: Reden 1917–1967. Eine Auswahl, hrsg. von Hans-Peter Schwarz, Stuttgart 1975, S.82–106, dort auch die folgenden Zitate.
Abgedruckt in: Konrad Adenauer und die CDU der britischen Besatzungszone 1946–1949. Dokumente zur Gründungsgeschichte der CDU Deutschlands, Bonn 1975, S.131–135.
Schwarz, Hans-Peter: Konrad Adenauer — Abendländer oder Europäer? Zur Bedeutung des Christlichen in seiner auswärtigen Politik, in: U. v. Hehl (Hrsg.), Adenauer und die Kirchen, S.95–115, Zitat S.97. Auf Einzelnachweis der folgenden Zitate wird verzichtet.
Vgl. Müller, Josef: Die Gesamtdeutsche Volkspartei. Entstehung und Politik unter dem Primat nationaler Wiedervereinigung 1950–1957, Düsseldorf 1990.
Die folgenden Punkte basieren im Wesentlichen auf der Argumentation von Hürten, Heinz: Der Beitrag Christlicher Demokraten zum geistigen und politischen Wiederaufbau und zur europäischen Integration nach 1945: Bundesrepublik Deutschland, in: W. Becker/ R. Morsey (Hrsg.), Christliche Demokratie, S.213–223.
Ebd., S.217.
Ebd., S.218.
Zitiert bei Becker, W.: CDU und CSU 1945–1950, S.26f.
Hürten, H.: Der Beitrag Christlicher Demokraten zum geistigen und politischen Wiederaufbau, S.218.
Ebd., Druck der genannten Texte: Konrad Adenauer und die CDU der britischen Besatzungszone 1946–1949, S.280–286 und S.866–880.
Hürten, H.: Der Beitrag Christlicher Demokraten zum geistigen und politischen Wiederaufbau, S.219.
Ebd., S.219f; vgl. ferner Hürten, Heinz: Der Topos vom christlichen Abendland in Literatur und Publizistik nach den beiden Weltkriegen. Wiederabdruck in Ders., Katholiken, Kirche und Staat als Problem der Historie. Ausgewählte Aufsätze 1963–1992, hrsg. von Hubert Gruber, Paderborn u.a. 1994, S.282–307.
Der Christ in der Not der Zeit. Der 72. Deutsche Katholikentag vom 1. bis 5. September 1948 in Mainz, Paderborn 1949, Zitat S.292.
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von Hehl, U. (2007). Christliche Positionen in Politik und Gesellschaft — Das Beispiel der Weimarer Republik und der frühen Nachkriegsjahre. In: Zehetmair, H. (eds) Politik aus christlicher Verantwortung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90651-5_3
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