Auszug
Die Fortschritte der Neurowissenschaften und die Faszination, die gegenwärtig von der Hirnforschung ausgeht, legen die Frage nahe, ob die Pädagogik sich ihrer für erfolgversprechende Modelle und Strategien bedienen sollte. Aus wissenschaftshistorischer Perspektive fällt aber neben den unbezweifelbaren Erfolgen vor allem eine erstaunliche Persistenz der leitenden Forschungsfragen ins Auge; seit mehr als hundert Jahren postuliert die Hirnforschung im Vorgriff auf einen vermeintlich unmittelbar bevorstehenden Durchbruch die Lösung so zentraler Fragen, wie der nach dem Wesen des Bewusstseins oder nach der Willensfreiheit. Die aktuelle Dominanz der Hirnforschung verweist deshalb zugleich auf kulturelle und gesellschaftliche Umorientierungen, die weit über die Reichweite fachwissenschaftlicher Theorien hinausreichen. Vorläufig dürften sich die meisten für die Pädagogik relevanten Befunde ohnehin mit deren Einsichten decken. Wenn die Hirnforschung sich heute die endgültige Entschlüsselung des menschlichen Erbguts zum Vorbild nimmt, stellt sich vielmehr die Frage, ob damit nicht zentrale Merkmale unserer Kultur leichtfertig zur Disposition gestellt werden. Vor allem aber ignoriert diese Vision die unvorhersehbare Dynamik der Hirnforschung selbst.
Der Text basiert auf einem Vortrag 2004 in einem gemeinsamen Kolloquium des Instituts für Anthropologisch-Historische Bildungsforschung und des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
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Borck, C. (2006). Lässt sich vom Gehirn das Lernen lernen?. In: Scheunpflug, A., Wulf, C. (eds) Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90607-2_7
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