Auszug
In vergleichender Betrachtung muss man die Umsetzung der „Agenda 2010“ in Deutschland als eindeutiges Beispiel eines gescheiterten kommunikativen Diskurses bezeichnen.1 Der Diskurs über die Gründe und Ziele einer Kürzung von Sozialleistungen, wie sie in der „Agenda 2010“ skizziert wurde, fehlte nicht wegen organisatorischer Probleme, sondern weil politische Schlüsselakteure, allen voran der damalige Bundeskanzler und Vorsitzende der SPD, Gerhard Schröder, der Ansicht waren, ein breiter integrativer und motivierender öffentlicher Diskurs sei für eine regierende sozialdemokratische Partei kein notwendiger Teil einer erfolgreichen politischen Strategie, auch nicht in einer Situation, in der sich die strategischen Parameter grundlegend verändern. Offenbar war Schröder der Meinung, dass sich eine Politik der Kürzung sozialer Leistungen durch ihre konkreten Erfolge zu rechtfertigen habe und deshalb nicht durch triftige Gründe, moralische Appelle an Grundwerte und Visionen untermauert werden müsse.2 Trotz der schweren Rückschläge, die die SPD bei den Landtags- und Kommunalwahlen in den zwei Jahren nach der Bekanntgabe der „Agenda 2010“ erlitt, schnitt Schröder bei den Bundestagswahlen 2005 überraschend gut ab — ähnlich überraschend wie 2002, als seine Regierung aufgrund einer Reihe außergewöhnlicher Umstände, wie der Ablehnung des Irakkriegs und ihres Umgangs mit der Flutkatastrophe in Teilen Ostdeutschlands, wenige Wochen vor dem Wahltag, wiedergewählt wurde. Dennoch kehrten seit Verkündung der „Agenda 2010“ zahlreiche Menschen der Partei den Rücken, die auf diese Weise nicht nur Wähler, sondern — was vermutlich ebenso ins Gewicht fällt — auch Mitglieder verlor.
Schmidt (2000).
Meng (2002).
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Literatur
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© 2007 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden
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Meyer, T. (2007). Nachzügler Deutschland — der fehlende Diskurs über die Neuausrichtung des Sozialstaates. In: Becker, F., Duffek, K., Mörschel, T. (eds) Sozialdemokratische Reformpolitik und Öffentlichkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90578-5_3
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