Auszug
In der Folge der zunehmenden Rücknahme politischer und administrativer Steuerung gewinnen lokale Akteure, intermediäre oder Non-Profit-Organisationen und insbesondere Vereine und Verbände1 seit Ende der 1980er Jahre eine neue Bedeutung sowohl für die Gestaltung der sozialen und politischen Verhältnisse im lokalen Raum, als auch und vor allem für die Generierung, Aktivierung und die Praxis bürgerschaftlichen Engagements. Die herkömmlichen Theorien über die Integrationsleistung von Vereinen unterstellen zumeist eine Kongruenz zwischen der Mitgliedschaft in sozialen Verbänden, demokratischer bürgerschaftlicher Gesinnung und einem generalisierten Vertrauen. Partizipative Politikgestaltung und bürgerschaftliches Engagement sollen demnach nicht nur in Vereinen praktiziert werden, sondern zugleich dort auch generiert werden (vgl. Braun/Hansen 2004). Allerdings gehen die meisten theoretischen Ansätze dabei vom Konzept einer konsensuellen Integration aus (vgl. Bauer 1995) — kaum wahrgenommen werden dagegen die Prozesse konfligierender Integration von sozialen und gesellschaftlichen Protestbewegungen oder die Integration, die vermittelt über geduldete soziale oder politische Nischenbildung erfolgt. Ob den Vereinen tatsächlich eine integrations- und vertrauensfördernde Funktion zugeschrieben werden kann, wurde bisher empirisch kaum untersucht. So ist bislang kein Nachweis erbracht, dass die erforderlichen bürgerlichen Qualifikationen tatsächlich in den Vereinen erzeugt werden. Ebenso könnten diese Qualifikationen auch die Eintrittsvoraussetzung für die Individuen in entsprechende Vereine darstellen (vgl. auch Münkler 1997).2
Die Verwendung der Begriffe intermediäre Organisationen, Non-Profit-Organisationen oder Dritter Sektor ist in der Literatur uneinheitlich. Im Wesentlichen beziehen sie sich auf denselben Gegenstand und werden mehr oder weniger synonym gebraucht (vgl. Anheier/Seibel 1990). Die vorliegende Untersuchung bezieht sich auf Vereine, die die verbreiteteste Organisationsform im Dritten Sektor darstellt (vgl. Zimmer 1992: 10). Aus Gründen der Einheitlichkeit wird im Text daher auch dann von Vereinen die Rede sein, wenn andere Arbeiten einen der oben genannten Begriffe verwenden.
In einer Untersuchung über die Integrationsleistung in und durch Sportvereine kann auch Braun über die an sich selbstverständliche Integration der Mitglieder in ihren Verein hinaus keine „über die Vereine vermittelte, grenzüberschreitende Außenintegration“ nachweisen (vgl. Braun 2005: 150).
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Vortkamp, W. (2007). Gesellschaftliche Integration und Vertrauensbildung durch Partizipation in Vereinen — Ergebnisse einer empirischen Untersuchung in Ostdeutschland. In: Schwalb, L., Walk, H. (eds) Local Governance — mehr Transparenz und Bürgernähe?. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90571-6_7
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