Zusammenfassung
Nicht nur Alltagswahrnehmungen, sondern auch Teile der akademischen und politischen Diskurse sind nach wie vor von der Tendenz bestimmt, in den Terroristen der al-Qaida religiös verblendete, von Todessehnsucht und mystischen Paradiesvorstellungen getriebene Fanatiker zu erblicken, die sich selbst jedem rationalen Kalkül und damit auch der rationalen Auseinandersetzung von Seiten der Sozialwissenschaften widersetzen. Diese Perspektive ist angesichts der damit einhergehenden Reduktion von Komplexität nicht nur funktional, sondern zunächst, angesichts von Massenmorden an Zivilisten unter Inkaufnahme sogar des eigenen Todes, auch nicht bar jeder Plausibilität. Warum dann aber, so ließe sich fragen, der Rückgriff auf Rational-Choice-Theorien, die ja gerade von räsonierenden, ihre Nutzenbilanz optimierenden Akteuren ausgehen? Im folgenden Beitrag soll versucht werden, den heuristischen Wert dieser Ansätze anzudeuten, der nicht nur in ihren Potenzialen, sondern gerade auch in ihren Grenzen, den „limits of rationality“,begründet liegt und dazu beitragen kann, das Phänomen des transnationalen Terrorismus – wenn auch nicht verständlich – so doch zumindest im Sinne Max Webers sinnhaft „verstehbar“, und damit auch: der Bekämpfung zugänglich zu machen.2 Terrorismus als eine asymmetrische und primär psychologische Form der Kriegsführung, mit Peter Waldmann gar als eine „Kommunikationsstrategie“ (Waldmann 1998: 13) zu begreifen heißt, ein gewisses Maß an strategisch-rationaler Logik zu unterstellen. Erst die Anerkennung der spezifischen, ihm als Gewaltstrategie inhärenten Rationalität, aber auch seiner nicht streng rationalen Dimensionen, ermöglicht eine ihrerseits wiederum: rationale Auseinandersetzung mit dem Gegenstand und schließlich auch adäquate Reaktionen auf gesellschaftlicher, politischer und juristischer Ebene und führt unmittelbar in das formale Kalkül von Rational-Choice-Ansätzen hinein.3
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Witte, D. (2007). Zur Rational-Choice-Analyse des transnationalen Terrorismus: Potenziale und Grenzen ökonomischer Erklärungsansätze. In: Analysen des transnationalen Terrorismus. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90556-3_2
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