Auszug
Der niedrige und nur bei ganz jungen Frauen etwas steigende Anteil1 an der registrierten Kriminalität lässt sich mit keiner der gängigen Kriminalitätstheorien erklären. In einem ersten Schritt wird gezeigt, dass auch ein etikettierungstheoretischer Ansatz dieses Phänomen nicht erklären kann und schon gar nicht die These einer doppelten Unterdrückung von Frauen; denn diese würde implizieren, dass zugeschriebene Kriminalität ein positives Gut ist, das soziale Aktivitäten indiziert, welche auch für positive Karrieren wichtig sind (etwa eine risikofreudige und auf Durchsetzung ausgerichtete Mentalität). Demgegenüber wird hier von der Annahme ausgegangen, dass zugeschriebene Kriminalität ein negatives Gut ist, das eher Abstiegsprozesse einleitet als Aufstiegsprozesse begleitet. Anhaltende Kriminalisierungsprozesse sind danach eher typisch männliche Abstiegsprozesse. Formelle Etikettierung kann sie auslösen, begleiten und/oder besiegeln. Wenn aber auch geschlechtsspezifisch unterschiedliche Etikettierung die registrierten Unterschiede nicht erklären kann, dann muss nicht nur eine feministische Kriminologie, sondern die Disziplin als solche ihr Theorieangebot nachbessern und die relevanten Verhaltensunterschiede differenziert erklären. Dass dies zurzeit niemand leisten kann, ist evident. Diese Defizite werden auch hier nicht nachgeholt werden können, was damit zusammen hängt, dass die Autorin eine juristisch ausgebildete Kriminologin ist und als solche soziologische, psychologische und empirisch angelegte kriminologische Texte zwar rezipieren, aber nicht generieren kann, da ihr dies insbesondere auch in einem interdisziplinär angelegten Fach wie die Kriminologie als Dilettantismus erschiene.
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Literatur
Silviana Galassi, Kriminologie im Deutschen Kaiserreich, Geschichte einer gebrochenen Verwissenschaftlichung, Franz Steiner Verlag 2004.
Lydia Seus, Soziale Kontrolle von Arbeitertöchtern, 1993; Gerlinda Smaus, Das Strafrecht und die gesellschaftliche Differenzierung, Nomos 1998.
vgl. klassisch Scheerer, KrimJ 97, S. 23 ff („Anhedonia Criminologica“).
So gesehen sind die Bausteine in Scheerer, KrimJ 95, S. 120 ff. (Soziale Kontrolle) und Hess/Scheerer, KrimJ 97 erste Schritte. Vgl. hierzu zutreffend Stangl, KrimJ 98, S. 138 ff.
Der andere hinzugefügt werden können, vgl. Frommel, Fremdenfeindliche Gewalt, KJ 94, S. 323 ff.
Blankenburg u.a. KrimJ75, S. 36 ff.
1978 von Blankenburg, Sessar, Steffen und 1990 von Peter-Alexis Albrecht u.a. durchgeführt, vgl. ders. (Hrsg.), Informalisierung des Rechts. Empirische Untersuchungen zur Handhabung und zu den Grenzen der Opportunität im Jugendstrafrecht, rezensiert von Frommel, in: MSchrKrim 1992, S. 66ff.
Umfassend hierzu Wolfgang Ludwig Mayerhofer, Das Strafrecht und seine administrative Rationalisierung. Kritik der informalen Justiz, 1998, rezensiert von Frommel, in: NK 3/1999, S. 40.
Etwa in: Frehsee, Löschper, Schumann (Hrsg.), Strafrecht, soziale Kontrolle, soziale Disziplinierung, Jahrbuch fRsoz und Rth Bd 15, 1993, S. 122 ff. Vgl. zum Kontext, Anina Mischau, Frauenforschung und feministische Ansätze in der Kriminologie, Centaurus, 1997. Ferner Lydia Seus, in: Geschlechterverhältnis und Kriminologie, KrimJ Beiheft 1995, S., 95 ff. und die Artikel in: Löschper, Smaus (Hsg.), Das Patriarchat und die Kriminologie, KrimJ 7. Beiheft 1999.
Helga Cremer-Schäfer/ Heinz Steinert, Straflust und Repression, zur Kritik der populistischen Kriminologie, 1998, rezensiert von Frommel, in: NK 2 (1999), S. 39–42.
Heinz Steinert, Straflust und Repression, zur Kritik der populistischen Kriminologie, 1998, rezensiert von Frommel, in: NK 2 (1999) a.a.O. S. 210 ff.
Meine strafrechtsdogmatische Darstellung der Reform des Sexualstrafrechts im Nomos-Kommentar zum StGB, 13. Abschnitt (1. Aufl. 2001, 2. Aufl. 2005) strebt eine angemessene Kontrolle an und wendet sich sowohl gegen opferignorante Begriffsfestsetzungen als auch gegen Strafrechtsgläbigekit. Vgl. ferner Frommel, Prävention bei Partnerschaftskonflikten. Ein Rükblick und ein Ausblick. In: Schöch, H. & Jehle, J.-M. (Hrsg.): Angewandte Kriminologie zwischen Freiheit und Sicherheit. Mönchengladbach 2004, S. 299–326, und gegen die Ansicht, häusliche Gewalt könne punitiv verarbeitet werden, vgl. unter http://www.kik-sh.uni-kiel.de (Wirkungsweisen von KIK in Kiel).
Frommel, Kriminalität von Frauen, in: Robert Northoff (Hrsg.), Handbuch der Kriminalprävention, 1967, 6. Liefg. 2005.
Geißler / Marißen, a.a.O. 1988, S. 504 ff, Kritik von Oberlies, a.a.O. 1990, S. 129 ff; Replik auf Oberlies von Geißler/Marißen, S. 144 ff, Ludwig-Mayerhofer/Rzepka, a.a.O. 1991, S. 542 ff.
Ludwig-Mayerhofer / Rzepka, a.a.O. 1991, S. 542 ff.: „Geschlecht“ tritt als Selektionsfaktor vollständig hinter Deliktschwere und Vorstrafen zurück.
verallgemeinernd Kilching , Opferinteressen und Strafverfolgung, 1995; spezifisch Leuze-Mohr, Häusliche Gewalt gegen Frauen — eine straffreie Zone? 2001; Kilching, dieselbe, Häusliche Gewalt und die Anzeigebereitschaft misshandelter Frauen in BFG 1/2002.
Evaluation des Gewaltschutzgesetzes, Auftraggeber: Bundesministerium des Justiz in Kooperation mit dem Institut für Familienforschung Bamberg (IFB), erscheint demnächst; vor Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes hatten dieselben bereits evaluiert: Laszlo A. Vaskovics/ Andreas Klocke/ Rotraut Oberndorfer/ Hans-Rainer Kunze/ Werner Lachenmaier Zuweisung einer Ehewohnung bei Getrenntleben — Rechtstatsächliche Untersuchung zu § 1361b BGB, Stuttgart, 2000.
vgl. die Ausführungen von Grieger / Kavemann / Leopold / Rabe , in: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.), Gemeinsam gegen häusliche Gewalt, Bd. II-Staatliche Intervention bei häuslicher Gewalt, Abschlussbericht 2000 und 2004, S. 211 ff. Zwar wird an anderer Stelle an das Gewaltschutzgesetz gedacht, aber immer im Sinne einer Programmevaluation, d.h. unter der Fragestellung, ob die Arbeit der Frauenberatung gut ist, d.h. die dort beratene Klientel angemessen berät. Was dort nicht auftauchende Betroffene wollen, bleibt unklar. Der Bedarf an Rechtsrat für diejenigen, welche weder die Polizei rufen noch zu einer Frauenberatungsstelle gehen wollen, ist nach wie vor ungeklärt und (vermutlich) auch ungestillt.
Studien wie etwa die Beiträge in: Kury / Obergfell (Hrsg.), Gewalt in der Familie, 2005. Cornelia Helfferich zeigen dort, dass eine typisierende Betrachtung der Konstellationen, in denen Gewalt ausgeübt wird, ein zwei-oder dreispuriges Vorgehen nahe legen könnte, die verantwortlichen Justistinnen/Soziologinnen in den jeweiligen Landesministerien zeigen mit ihren Beiträgen ferner, dass mittlerweile Lernprozesse in Gang gekommen sind, welche sich von traditionellen Geschlechterideologien lösen und professionell nach einer adäquaten Prävention suchen.
Monika Frommel, Frauen, 2004, in: Handbuch der Kriminalprävention, Loseblatt-Sammlung, hrsg. von Robert Northoff, Nomos Verlag, Baden-Baden, 1. Auflage 1997, 6. Lieferung 2005.
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Frommel, M. (2007). Feministische Kriminologie. In: Liebl, K. (eds) Kriminologie im 21. Jahrhundert. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90538-9_8
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